Mysteriöser Briefe-Schreiber hielt Utzenhofener in Atem

29.10.2018, 13:43 Uhr
Mysteriöser Briefe-Schreiber hielt Utzenhofener in Atem

© Foto: Fellner

Angefangen hatte alles acht Jahre zuvor mit auf Schreibmaschine getippten Briefen, die eher an makabere Scherze erinnerten. Gegen Vertreter der Kirche, vor allem den Pfarrer und den Mesner, sowie andere einflussreiche Bürger hagelte es Drohungen und Vorwürfe.

Die Briefe waren arg ungelenk verfasst und strotzen nur so vor Rechtschreibfehlern. Ihr Inhalt jedoch verriet, dass der Verfasser – der stets mit "Pumuckl" unterschrieb, später auch mit "Pumuckls" – bestens über Dorfinterna Bescheid wusste. Auch die Gemeindeverwaltung in Kastl, die lokalen Zeitungen und die Diözesanverwaltung in Regensburg bekamen Post vom "Pumuckl". Säckeweise.

Draht vor dem Altar gespannt

Im Fokus der Anschuldigungen stand jedoch der Utzenhofener Pfarrmesner. Auf ihn wurde sogar ein Anschlag verübt: Ein Unbekannter spannte in der Kirche vor dem Altar einen Draht, über den er stolperte und sich dabei schwer am Fuß verletzte.

Auf diesem Brief gab „Pumuckl“ seine Umbenennung in „Frau Holle“ bekannt und gab auch zu, den Mesner gekidnappt zu haben.

Auf diesem Brief gab „Pumuckl“ seine Umbenennung in „Frau Holle“ bekannt und gab auch zu, den Mesner gekidnappt zu haben. © Foto: Fellner

In zahlreichen Briefen prangerte der Anonymus die angeblichen Vergehen des Mesners an: Er warf ihm vor, sich an der Kollekte zu bedienen, das neue Jahr zu spät eingeläutet oder die Kirchturmuhr zu früh auf die Sommerzeit umgestellt zu haben.

"Das regt mir auf wenn ich auf die Kierch Uhr am Samstag Nachmitags schaue und die Kierch Uhr ist schon umgestellt", zitierte der Spiegel aus einem der Briefe. Denn der "Pumuckl" aus der Oberpfalz kam deutschlandweit in die Schlagzeilen, nachdem er die Entführung in die Tat umgesetzt hatte.

Die Tochter des Mesners hatte am Samstagnachmittag den Traktor, mit dem der Vater Viehfutter hatte holen wollen, mit laufendem Motor im Hof gefunden. Im Traktor lag ein Brief der "Pumuckls" mit einer Lösegeldforderung über 100 000 Mark. Erst am nächsten Morgen fanden Utzenhofener den 56-Jährigen stark unterkühlt. Er war am Ortsrand an einen Baum gefesselt und schrie um Hilfe.

Vom Opfer vorgetäuscht?

Dass der "Pumuckl" aus Utzenhofen stammen musste, war allen klar. Die Polizei durchleuchtete auch die Vergangenheit des Mesners. Im Dorf machten schnell Gerüchte die Runde. Schließlich geriet auch der Mesner in Verdacht. Kurz vor der Entführung war bei ihm eingebrochen worden, angeblich hatten die Diebe nur seine Schreibmaschine mitgenommen.

Mysteriöser Briefe-Schreiber hielt Utzenhofener in Atem

© Foto: Fellner

Außerdem hatte der Entführte erzählt, von drei Maskierten gekidnappt worden zu sein. Ihm seien sofort die Augen verbunden worden, und er habe eine Tablette schlucken müssen, die ihm das Bewusstsein geraubt habe. Dass der Mesner sich partout an nichts erinnern konnte, ließ viele Utzenhofener misstrauisch werden.

Zahlreiche Ungereimtheiten

Und auch am Tatort selbst hatten sich zahlreiche Ungereimtheiten ergeben. Wohl aus ermittlungstaktischen Gründen gab die Polizei vor 30 Jahren keine Einzelheiten bekannt, sprach nur immer wieder von "Verdächtigen" und heißen Spuren.

Er gehe davon aus, dass "einige Bomben platzen, wenn wir da so richtig hineinstechen", sagte der damalige Leiter der Kripo Amberg, Josef Lettl, fünf Tage nach der Entführung den Neumarkter Nachrichten. Doch dazu kam es nicht. Schließlich gab die Polizei auf und ermittelte in der Sache gegen Unbekannt.

Stimmung im Dorf auf dem Tiefpunkt

Vor einigen Jahren enthüllte Lettl in der Mittelbayerischen Zeitung, was ihn damals am Tatort stutzig gemacht hatte. Zunächst hätte der Mesner dort, wo er festgebunden war, schon viel früher gefunden werden müssen. Außerdem stellte Lettl, der sich mit Knoten auskannte, fest: Hätte der Entführte an einem Ende seiner Fesseln gezogen, hätte sich der Knoten gelöst. Lettl ist sich bis heute sicher: Die Entführung war vorgetäuscht. Doch damals wie heute gibt es keine Beweise. Geiselnahme und Entführung verjähren allerdings nicht.

Die Stimmung in dem kleinen Dorf war nach der Entführung jedenfalls auf dem Tiefpunkt. "Jeder verdächtigt jeden", sagte damals der zweite Bürgermeister Herbert Braun.

Wegen der andauernden Drohungen des "Pumuckls" war schon einige Jahre zuvor der Utzenhofener Pfarrer vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Nach der Entführung hatte auch sein Nachfolger genug und bat um Versetzung in eine andere Gemeinde. Auch die Stelle des Mesners war ein Jahr nach der Entführung neu zu besetzen, das Pfarrhaus war verwaist.

In "Frau Holle" umbenannt

"Das war eine trostlose Geschichte", sagt Wolfgang Fellner, der damals für die Neumarkter Nachrichten vor Ort recherchierte. Er war in dem Dorf und der Gegend unterwegs. "Ich habe jeden Stein dort umgedreht, aber keinen Pumuckl gefunden", sagt er und lacht. Der "Pumuckl" hatte sich zudem in der Zwischenzeit in "Frau Holle" umbenannt und eigentlich angekündigt, keine weiteren Briefe mehr zu schreiben. Dennoch tauchten weitere auf – jetzt eben mit "Frau Holle" unterzeichnet.

Wann die unheimliche Briefserie genau endete, kann oder will keiner sagen. Fest steht: Irgendwann kamen keine anonymen Briefe mehr. "Seit 20 Jahren habe ich nichts mehr davon gehört", sagt heute ein Utzenhofener, der trotzdem lieber anonym bleiben will.

Keine Kommentare