Neumarkter Altstadt: Archäologen finden Glas aus Venedig

25.6.2016, 07:55 Uhr
Neumarkter Altstadt: Archäologen finden Glas aus Venedig

© Fotos: André De Geare

Projektleiterin Christine Misamer deutet auf die halbrund erhaltene Brunnenfassung am Straßenrand. Die längst versiegte Wasserstelle ist zu einem Viertel mit Ziegelsteinen aufgefüllt. Liegt unter dem Bauschutt vielleicht noch das eine oder andere wertvolle Fundstück aus der Neumarkter Stadtgeschichte?

Das Archäologenteam wird es wohl nie erfahren, denn die Grabungen erreichen nur die normale Bautiefe des Wohnkomplexes mit Tiefgarage von rund drei Metern. Dann ist Schluss. Immerhin ist es der Bauherr, der die Denkmal-Erkundungen im Untergrund bezahlen muss. Seit Ende Februar sind auf dem 1500 Quadratmeter großen Gelände bis zu zehn Archäologen, Grabungstechniker, Dokumentations- und Vermessungsspezialisten am Werk. Das Team der Parsberger Adilo GmbH arbeitet parallel zur Baufirma teils unter Zeitdruck. Doch Adilo-Chef Friedrich Loré kann sich nicht beklagen: „Eine richtig gute Baustelle, so verständnisvoll läuft es nicht immer.“

Der ganze Aufwand hat sich nach Ansicht von Projektleiterin Christine Misamer gelohnt: Rund 500 Kilogramm Fundmaterial haben die Forscher bisher aus dem Boden geholt, meist Scherben und Bruchstücke aus Keramik — und Glas in allen Variationen, Trinkgefäße, Fensterglas, Imitationen von China-Porzellan, Fayencen mit Goldbemalung und sogar bemaltes weißes Glas, das von der venezianischen Insel Murano stammen könnte.

Gruben rund ums Haus

Die Archäologen verdanken die Funde den Müllbeseitigungspraktiken der Neumarkter vom 14. bis 18. Jahrhundert: Unbrauchbares warfen die Menschen einfach in Abfallgruben rund ums Haus. Die Funde deuten darauf hin, dass in jener Zeit am Rand des historischen Neumarkt an der Stadtmauer Menschen mit erkennbarem Wohlstand gelebt haben, vielleicht Handwerker oder Händler, die sich eine durchaus aufwändige Tischkultur leisten konnten. Christine Misamer: „Diese Neumarkter hatten das Geld, sich Trinkgläser zu leisten, das ist in einem Armenhaushalt nicht zu finden. Hier haben Menschen mit gehobenem Lebensstandard gewohnt.“

Acht alte Gewölbekeller

Gold und Edelsteine förderten die Wissenschaftler zwar nicht zutage, aber immerhin historisches Kinderspielzeug, Murmeln, ein kleines Pferd aus Ton, Spielsteine und Knochenperlen. Eine Münze aus Bronze mit dicker, grüner Patina muss erst noch identifiziert werden. Spektakulär ist jedenfalls ein Anhänger aus Messing, auf dem der Reiter-Heilige St. Georg abgebildet ist — ein solches Stück war vor Jahren auch auf dem Gelände der Burgruine Wolfstein gefunden worden.

An der Wolfsgasse wurden jetzt acht alte Gewölbekeller, die Reste von Latrinen, Brunnen und Pfostengruben von längst vergangenen Holzhäusern im alten Neumarkt entdeckt. Zudem fanden sich Spuren sogenannter Erdkeller, die mit einem Dach abgedeckt waren. Rätsel geben die Reste eines künstlich angelegten und später zugeschütteten Grabens auf, der von Norden nach Süden verläuft — vielleicht die Reste einer ersten Kanalisation.

Christine Misamer und ihre Kollegen haben alles fotografiert, zeichnerisch dokumentiert, genau beschrieben und vermessen — bevor die Bauarbeiter in einigen Tagen alles „wegbaggern“, wie die Projektleiterin ohne sentimentalen Unterton erklärt.

Der Denkmalschutz und der Bauherr werden schon bald einen detaillierten Grabungsbericht in Händen halten. Veröffentlichungen in Fachzeitschriften sind geplant. Und die Archäologin schließt nicht aus, dass die Stadt vielleicht eines Tages eine Ausstellung über die Funde macht.

„Entwicklung nicht verhindern“

Die umfassende Dokumentation versöhnt die Wissenschaftlerin mit der Tatsache, dass die uralten Zeitzeugnisse einfach auf dem Bauschutt landen: „Alles bewahren — das ist unrealistisch. Die Zeit muss voranschreiten, man soll die Stadtentwicklung nicht verhindern.“

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