Neumarkter Hausärzte weisen Patienten ab

23.10.2017, 06:29 Uhr
Neumarkter Hausärzte weisen Patienten ab

© Archivfoto: dpa

Anneliese S. geht es gesundheitlich gar nicht gut. Die 64-Jährige hatte einen Schlaganfall, sitzt im Rollstuhl, leidet unter Diabetes und ist Dialysepatientin. Bis vor kurzem wohnte sie in einem Seniorenheim im Landkreis Neumarkt, war dort aber mit der Betreuung nicht zufrieden. Ein guter Bekannter, der 69-jährige Josef S., hat sie jetzt zu sich in die Wohnung nach Neumarkt geholt, zumindest solange, bis ein Platz im Caritas-Seniorenheim St. Johannes frei wird.

Anneliese S. braucht natürlich dringend ärztliche Betreuung. Doch die Suche nach einem neuen Hausarzt in Neumarkt gestaltete sich schwierig. Josef S. hat für sie mehrere Praxen abgeklappert und um einen Termin gebeten — vergeblich. Erst der siebte Hausarzt war bereit, die neue Patientin aufzunehmen. "Das ist doch kein Zustand", findet Josef S. und hat sich deswegen auch schon an Oberbürgermeister Thomas Thumann gewandt.

"Viele Hausärzte in Neumarkt nehmen keine neuen Patienten mehr auf", bestätigt Stilla Braun, die Seniorenreferentin im Stadtrat, die auch zwei BRK-Seniorenheime in Neumarkt leitet. "Hausärzte könnten es mehr sein", findet auch Sieglinde Harres, Vorsitzende des Seniorenbeirats. Manche der älteren Ärzte würden gerne kürzertreten, weiß Braun, "aber sie finden niemanden, der in die Praxis einsteigt".

Davon ist etwa der Neumarkter Allgemeinarzt Dr. Franz Bauer (62) betroffen, der bis vor zwei Jahren eine Gemeinschaftspraxis mit Dr. Andrea Wonka betrieben hat. Schon vor deren Ausscheiden hatte Bauer mit der Suche nach einem neuen Kollegen begonnen. Gefunden hatte er bis vor kurzem nur eine Kollegin, die zwei halbe Tage mitarbeitet. Am 1. Oktober hat bei ihm ein Weiterbildungsassistent, der sich in der Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner befindet, angefangen. Ob der nach den zwei Jahren Assistenzzeit bleibt und auf Dauer in die Praxis einsteigt, ist offen. "Neumarkt ist ein schlechtes Pflaster, da will keiner hin", sagt Dr. Bauer. Für die Nürnberger Jungärzte sei Neumarkt "Ausland", für die Oberpfälzer Grenzgebiet. Allerdings tue man sich auch in Nürnberg schwer, Ärztenachwuchs zu finden. "Nur Unistädte wie Erlangen oder Regensburg mit medizinischen Fakultäten haben keine Probleme", weiß Dr. Bauer. "Heute kann es sich jeder Arzt aussuchen, wo er bleibt."

Bemessungszahl geändert

Dazu komme, dass Hausärzte aufgrund von Veränderungen im Gesundheitswesen zu viel Arbeit hätten. Auch Dr. Bauer nimmt deshalb Patienten, die den Hausarzt wechseln wollen, generell nicht an. "Ansonsten fragen wir am Telefon, wie viele Ärzte die Patienten schon angerufen haben und entscheiden dann im Einzelfall."

Dr. Klaus Kubitschek, Vorsitzender des Neumarkter Ärztenetzes, wirbt um Verständnis für das abweisende Verhalten seiner Kollegen. "Wir können nicht noch mehr arbeiten, die Arbeit soll ja auch noch Qualität haben. Ich mache schließlich keine Brezeln und mein Tag hat nur 24 Stunden." Die Arbeit der Ärzte sei aus mehreren Gründen mehr geworden. Hauptproblem sei, dass die Bemessungszahl von 1300 Einwohnern pro Hausarzt vor ein paar Jahren auf 1600 Bewohner angehoben wurde. Außerdem werden die Menschen immer älter und immer mehr chronische Erkrankungen können gut und lange behandelt werden, so dass die Betroffenen damit 15 bis 20 Jahre leben können, aber natürlich ärztliche Betreuung brauchen.

Während früher Ärzte laut Dr. Kubitschek "ohne zu klagen 60 Stunden die Woche gearbeitet haben", seien dazu nicht mehr alle Mediziner bereit. Die Arbeit habe sich zudem verdichtet. Deshalb sei es nicht leicht, alle Anfragen von Patienten zu befriedigen. Dass es schwer ist, junge Ärzte zu bekommen, liege nicht an Neumarkt, so Dr. Kubitschek. "Ich kenne keine überversorgten Bereiche in Deutschland." Man solle Neumarkt nicht schlechtreden: "Die Stadt Neumarkt gehört zur Metropolregion, man ist in 30 Minuten in der Großstadt." Einen Ärztemangel gebe es formell nicht, "aber faktisch haben wir einen Mangel", sagt Dr. Kubitschek.

Laut aktuellen Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns kommen im Landkreis Neumarkt auf 60,5 Hausarzt-Planstellen 64 Ärzte, davon 26 in der Stadt Neumarkt. Das entspricht einem Versorgungsgrad von 104,4 Prozent. Im Landkreis sind 3,5 Hausarzt-Planstellen frei. Der "faktische Mangel" könnte sich in den nächsten Jahren zuspitzen: Von den 64 Hausärzten sind 18 über 60 Jahre alt und gehen auf absehbare Zeit in den Ruhestand. Dann müssen Patienten wie Anneliese S. wohl noch mehr Praxen abklappern, bis sie einen Termin bekommen.

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