Stadt darf nicht zum Museum erstarren

30.4.2010, 00:00 Uhr
Stadt darf nicht zum Museum erstarren

© Etzold

»Eine Stadt ist eine Organisationsform und damit auch zeitgenössischer Ausdruck menschlichen Lebens. Deshalb ist es die Aufgabe der Architekten, den ständig wandelnden Bedürfnissen immer wieder eine neue Form zu verleihen.« Carl Fingerhuth hat das häufig getan: in Europa und in Asien, in den USA und in Afrika.

Der Städteplaner, der auch Honorarprofessor der TU Darmstadt und Mitglied des Gestaltungsbeirates der Stadt Regensburg ist und von sich behauptet, er habe eigentlich nie richtig als Architekt gearbeitet, legt großen Wert darauf, dass vorhandene, historische Bausubstanz erhalten bleibt – als Abbild einer vergangenen Epoche prägt sie das Bild einer Stadt ebenso wie derzeit aktuelle Bauten. Davon konnte er sogar die fortschrittsfreudigen und in der Regel radikal agierenden Chinesen überzeugen.

Fünf zentrale Themen dominieren nach Ansicht Fingerhuths die Entwicklung und damit das Gesicht einer Stadt. Das erste ist ihre so genannte Ikonographie, also das Ausmaß, wie sehr ein bestimmter Baustil oder einzelne Bauten das Stadtbild prägen und unverwechselbar machen. Als Beispiel nennt er das ehemalige World Trade Center in New York. Die Quaderform, der riesige quadratische Grundriss und die Bauweise als Doppelhaus seien ein höchst agressives Sinnbild der westlichen Wirtschaftsordnung. Das Quadrat als Symbol von Macht findet sich beispielsweise auch in der buddhistischen Pagode. Carl Fingerhuth transformierte es einst bei einem afrikanischen Ministeriumsprojekt in die regional typische, eingeschossige Atriumbauweise, was dort jedoch eher als Baracke bewertet wurde – so unterschiedlich ließen sich Bauformen interpretieren, sagt er.

Bei der Philosophie einer Stadt orientiert sich Carl Fingerhuth an einem Modell des Schweizer Psychoanalytikers Carl Gustav Jung, das sich aus den Prozessen Denken, Spüren Fühlen und Intuition zusammensetzt. »In der Moderne lag der Schwerpunkt auf dem Denken, in der Stadt jenseits der Moderne gewinnt aus dieser Perspektive heraus auch der Rest wieder an Bedeutung.«

Ein zentrales Element in der städtischen Struktur bildet der öffentliche Raum als Stätte der Begegnung. Ebenso maßgeblich ist das Spiel zwischen Kontinuität und Veränderung: Bei zuviel Kontinuität erstarrt die Stadt zum Museum, zuviel Veränderung kann jedoch gefährlich werden – die Menschen verlieren sich in Haltlosigkeit. Vorhandene Zentren gilt es weiterzuentwickeln und eine drohende Zersiedelung abzuwenden.

Jede zukunftsgerichtete Stadtentwicklung bedürfe der Unterstützung durch Politik und Gesellschaft und damit auch des öffentlichen Dialogs, betonte Fingerhuth. Phantasie und Kreativität seien ebenso notwendig wie eine konsequente Führung in den Gremien und eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit.

Verwandte Themen