Sulzbürg: Auf den Spuren der jüdischen Vorfahren

1.8.2015, 09:45 Uhr
Sulzbürg: Auf den Spuren der jüdischen Vorfahren

© Foto: Horst Linke

Dünn und steil stehen die Buchstaben in der abgegriffenen Kladde. Die Protokollbücher des heute von Baptist Kohlmann geleiteten Männergesangvereins, handgeschrieben mal in Sütterlin, mal in alter deutscher Langschrift, sind Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Einer Zeit, in der ein erstaunlich hoher Prozentsatz der aktiven MGV-Mitglieder jüdischen Glaubens war. Die Liste aus dem Jahr 1912 ist sehr aufschlussreich: Louis Löwenstein ist auf ihr zu finden, auch Isaak Regensburger war vor dem Ersten Weltkrieg Sänger in Sulzbürg.

Dies änderte sich mit dem Heraufdämmern der Nazi-Diktatur rasend schnell: Schon vor 1933 wirken die Mitgliederlisten des Männergesangvereins Sulzbürg in erschreckender Weise „gesäubert“, es finden sich fast keine jüdischen Namen mehr. Den „Sulzbürger Sängergruß“ sang man weiterhin — „obwohl auch der von Juden komponiert war“, weiß Heide Inhetveen, die in einem einstmals der Familie Neustädter gehörenden Haus lebt und die aktuelle Neustädter-Generation bei ihrem Deutschlandbesuch betreut.

Zehn Tage waren David Neustädter und seine Kinder in Deutschland unterwegs. Sie besuchten unter anderem Bad Kissingen, von wo aus Gustav Mordechai Neustädter 1942 mit seiner Ehefrau Paula und dem jüngsten Sohn Ernst ins Ghetto Izbica bei Lublin deportiert wurde. Wie und wann der Urgroßvater ums Leben kam, verliert sich im Dunkel der Holocaust-Gräuel.

Fragt man David Neustädter, der heute in der israelischen Stadt Nazareth lebt, nach seinen Gefühlen den Deutschen gegenüber, die auch in Sulzbürg nach Hitlers „Machtergreifung“ ihre jüdischen Nachbarn und Freunde ausgrenzten, die aktiv oder passiv an der Vernichtung eines ganzen Volkes mitwirkten, dann wird er sehr nachdenklich: „Ich habe hier sehr nette Menschen getroffen, und wir sind mit großer Freundlichkeit und Herzlichkeit aufgenommen worden. Es wäre ein Fehler, zu vergessen — aber man muss vergeben können“, sagt er leise, während er in den vergilbten Protokollbüchern des Gesangvereins blättert.

 

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