Von den Nazis vertrieben, zu Freunden zurückgekehrt

16.10.2014, 16:00 Uhr
Von den Nazis vertrieben, zu Freunden zurückgekehrt

Ernest Haas wollte eigentlich nie mehr einen Fuß in dieses Land setzen. Nur einmal musste der in die USA Emigierte zurück, in den 70ern, um bei einem Kriegsverbrecherprozess in Hamburg als Zeuge auszusagen. Ernest Haas reiste nach Dänemark und fuhr von dort zu dem Gerichtstermin – und am gleichen Tag wieder zurück. Übernachten wollte er damals nicht in dem Land, dessen Nazi-Regime vor 1945 so viele seiner Verwandten und Freunde zum Opfer gefallen waren.

Doch das hat sich geändert. Der heute 89-jährige gebürtige Neumarkter reiste erstmals wieder 2006 mit seiner Frau Myrna in seine Geburtsstadt: zur Premiere des später preisgekrönten Musicals „Der letzte Brief“. Schüler des Ostendorfer brachten damals schicksalhafte Schlüsselszenen des Lebens von Ilse Haas auf die Bühne — die ein Jahr ältere Schwester von Ernest Haas. Sie ist 1944 im KZ Stutthof ermordet worden.

Fahrt nach Sulzbürg

Und Ernest Haas kam wieder zurück, weil ihn das Neumarkter Schulprojekt „Ilse“ angerührt hat. Der Schulseelsorger Helmut Enzenberger lieferte 2004 den Anstoß für die biografische Spurensuche nach Opfern und Angehörigen.

Das Musical, eine Ausstellung und eine PowerPoint-Präsentation gingen aus dem Projekt hervor. Im Neumarkter Stadtpark gibt es den Ilse-Haas-Weg. 2011 wurde im Gymnasium eine Gedenktafel angebracht. Das Projekt „Ilse“ setzt sich bis heute in den Klassen 5 bis 10 fort.

Dies ist der vierte Besuch von Ernest Haas in Neumarkt. Bis zum Montag kommender Woche wird er viele Freunde treffen und sich in dieser Woche in die Goldenen Bücher in Neumarkt und in Mühlhausen eintragen. Und er wird Sulzbürg besuchen, dort wo sein Großvater Seligman Haas Bürgermeister und Ehrenbürger war — bis ihm die Nazis 1935 diesen Titel aberkannten (er wurde 1992 rehabilitiert).

„Zu Freunden geworden“

„Für mich ist es schwer, über die Vergangenheit zu sprechen. Die Menschen am Ostendorfer haben es mir möglich gemacht, nach Neumarkt zurückzukehren, sie sind mir zu Freunden geworden.“ Ernest Haas ist sichtlich bewegt von der Szene: Schüler und Lehrer stehen dichtgedrängt hinter der Stuhlreihe für die Gäste vor dem Podium in der Aula des Ostendorfer.

„42 Steine, 42 Namen, 42 Schicksale“: Die Schülersprecher Isabella Emmerling, Nils Gründer und Noah Dauer rufen nach und nach Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 10, Lehrer, Personalräte, das Hausmeister-Team, Sekretärinnen und Eltern auf. Und sie nennen die Namen der Neumarkter jüdischen Naziopfer, die auf den Steinen stehen. Jeder legt einen Stein in eine Schale auf dem Tisch vor dem Podium. „Die Schulgemeinschaft steht dafür ein, dass die Opfer der Shoah nicht vergessen werden. Die Schule vermittelt Werte, die uns dabei helfen, dass die Opfer nicht vergessen werden.

Und wir erneuern das Versprechen, dass sie nicht vergessen werden“, sagt Schülersprecher Nils Gründer. Den letzten Stein legt Schulleiterin Ulrike Severa in die Schale: für alle Opfer des Naziterrors, deren Namen nie zu erfahren sein werden. Und die Ostendorfer-Chefin erklärt ausdrücklich, das Schulprojekt habe „entscheidend dazu beigetragen, dass sich die Stadt mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt“. Ulrike Severa zitiert das Leitmotiv der Gedenktafel: „Man hat euch die Träume und das Leben genommen. Wir lassen nicht zu, dass man euch vergisst. Eure Namen werden bleiben.“

In Begleitung des Ehepaares Haas war Hans Rosenfeld (88), der 1937 emigriert ist. Die Schüler mahnte er: „Wir sind die Vergangenheit, ihr seid die Zukunft, die Jugend hat die Aufgabe, die Freiheit zu verteidigen.“

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