Zu Besuch im Waldkindergarten der Grashüpfer

9.11.2014, 16:00 Uhr
Zu Besuch im Waldkindergarten der Grashüpfer

© Fritz-Wolfgang Etzold

Lenia braucht nur drei Schritte, dann ist sie bereits auf dem ersten großen Ast angekommen. Nasse Blätter und Rinden stören sie nicht. Auch, dass sie keine Kletterschuhe, sondern Gummistiefel trägt, ist kein Problem: weder für die Fünfjährige selbst, noch für die Erzieherinnen, noch für die Eltern des Mädchens. Rutschig, fast schon glitschig, ist der Boden in dem Waldstück hinter dem Fußballfeld des FC Ezelsdorf und den Tennisanlagen. Den ganzen Morgen über hat Regen den Boden aufgeweicht und die Luft beschwert. Jeder, der kann, will eigentlich an diesem miesen Tag im Herbst nicht vor die Türe. Zumindest nicht ohne Regenschirm und Auto.

Mit der Natur verbunden

Bei den Kindern des Waldkindergartens "Grashüpfer" hingegen ist nicht einmal wirklich Zeit, das Mittagessen in einem der Bauwagen zu sich zu nehmen. Die Kleinen zwischen zwei und sechs Jahren wollen ihre bunten Regenhosen und die Gummistiefel gleich anbehalten. Schnell knabbern einige an ihrem frisch gekochten Maiskolben. Wohlig warm bollert der Holzofen im Bauwagen, doch eigentlich drängt es sie trotz Kälte hinaus. "Ich mag das Klettern am liebsten", erklärt Noah. Und Lenia gibt stolz lächelnd preis, dass sie es fast bis zur Spitze der Bäume schafft. "Bis in drei Meter Höhe", fügt Erzieherin Katrin Brandt hinzu.

Zu Besuch im Waldkindergarten der Grashüpfer

© Fritz-Wolfgang Etzold

Die dreijährige Julia hingegen mag das Schlittenfahren im Winter am liebsten, gibt sie kund. "Das hat sie im letzten Jahr beeindruckt", berichtet Erzieherin Katrin Brandt. Weil der Waldkindergarten natürlich nicht für jedes Kind einen vorgefertigten Schlitten hat, ist man hier eben innovativ – und bastelt in Gruppenarbeit kurzerhand einen selbst: "Aus alten Planen oder Luftkissenfolie", sagt Brandt. Das sei ein wesentlicher Aspekt des pädagogischen Konzepts des Freiluft-Kindergartens: aus einem dicken Bündel zwirbeliger Äste wird ein Elfendorf oder ein Piratenschiff, aus fünf Baumstämmen werden Ponys, auf denen die Mädchen gerne reiten. "Sie haben die Natur, das, was sie lieben, hier zuhauf. Mehr brauchen sie nicht", erklärt die Leiterin der Grashüpfer, Michaela Zeitz. "Das macht sie motorisch sehr fit, im Alter brauchen sie mal keine Ergotherapie", sagt Katrin Brandt und lacht.

"Wir müssen nicht mühselig zum Beispiel Taststraßen aufbauen wie die konventionellen Kindergärten. Wir haben alles hier. Alle Sinne der Kinder werden geweckt", beschreibt Brandt die Erfahrungswelten, die sich zwischen Laub und Ästen auftun. Darüberhinaus lernen die Kinder zum Beispiel über eine App, die Vogelstimmen zu erkennen, auch ein PC ist vorhanden.

Weniger Stress und mehr Erfahrungen

Hier, wo kein Auto und eigentlich auch kein Mensch vorbeikommt und die Natur den dominanten Part übernimmt, können die aktuell 18 Kinder toben, tollen und ganzheitlich erfahren. Obwohl Lautstärke hier niemanden stört, sind die Kinder angenehm unaufgeregt, sie schreien, heulen, kabbeln nicht. Sie sind ausgeglichen, lächeln, achten aufeinander – besonders auf die ganz Kleinen, wie die erst zwei Jahre alte Sophie. Von den insgesamt vier pädagogischen Kräften sind immer mindestens zwei bei den Kindern.

Zu Besuch im Waldkindergarten der Grashüpfer

© Fritz-Wolfgang Etzold

Angst habe er nicht, sagt der Papa des Mädchens bei der Abholung nach dem Mittagsessen. "Es gibt überall Gefahren, ich habe mir nie Sorgen gemacht", meint Johannes Spiegel, der selbst Pädagoge ist und auch seinen fünfjährigen Sohn Jonathan in den Waldkindergarten schickt. "Wir halten viel mehr von der Lernwelt draußen als der drinnen. Denn die Erfahrungsmöglichkeiten sind einfach vielfältiger." Es käme maßgeblich darauf an, wie die Eltern die Umwelt wahrnehmen, und darauf, dass seine beiden Kinder "unheimlich gerne draußen sind".

Die dreijährige Julia ist hier, "weil sie dann viel draußen sein kann", erklärt ihre Mama Karin Roth, die extra aus Moosbach bei Feucht anfährt. "Sie lernt hier einfach besser, was sie sich zutrauen kann und sie ist bei Weitem nicht so gestresst, wie in einem konventionellen Kindergarten", sagt sie, "35 Kinder in einem Raum, da würde ich Kopfweh bekommen".

Tariflohn für Erzieherinnen gewünscht

Hauptantriebspunkt ist, dass "Kinder sich heutzutage zu sehr von der Natur entfremden", erklärt Zeitz. Es käme beim Spielen im Wald eben auf gute Kleidung an. An wirklich ungeeigneten Tagen können die Grashüpfer ihre Elfendörfer und Piratenschiffe hinter sich lassen und ins Bucher Dorfgemeinschaftshaus ausweichen.

Zu Besuch im Waldkindergarten der Grashüpfer

© Fritz-Wolfgang Etzold

Lange haben zwei der Pädagoginnen, Katrin Brandt und Heidi Ehrenberger, für ihren Traum von dem etwas anderen Kindergarten geträumt – und ihn nie aufgegeben. 2012 hat er dann Form angenommen, im September 2012 gingen die Grashüpfer mit fünf Kindern an den Start. Auch heute arbeiten die Erzieherinnen vor allem ehrenamtlich, ein Trägerverein, in dem die Eltern Mitglieder sind, finanziert das Projekt derzeit. Im Stadtrat von Postbauer-Heng und in Burgthann hat die Leiterin nun um Unterstützung gebeten, sie hoffen auf insgesamt 10.000 Euro Personalkostenzuschuss und Beiträge für einen dritten Bauwagen. Denn langfristig sollen noch mehr Grashüpfer durch den Wald hinter Buch springen. Und: "Wir möchten unseren Mitarbeiterinnen gerne den Tariflohn zahlen", sagt Zeitz.

Der fünfjährige Paul ist froh, nicht mehr seinen alten Kindergarten besuchen zu müssen. Seit sieben Wochen ist er ein Grashüpfer. "Da war es ganz schlecht, wir mussten uns immer an die Hand nehmen, um in den Garten zu gehen", erinnert er sich. Der Waldkindergarten sei nicht für jedes Kind die beste Lösung. Aber gerade für schüchterne, introvertierte Kinder sei er genau das richtige. "Sie tauen auf, denn sie lernen psychisch und physisch Hindernisse zu überwinden", sagt Michaela Zeitz.

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