NSU-Prozess: Erinnerungslücken beim Verfassungsschutz

9.4.2014, 18:02 Uhr
NSU-Prozess: Erinnerungslücken beim Verfassungsschutz

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Im NSU-Prozess sorgt der hessische Verfassungsschutz weiter für Verwunderung: Am Mittwoch bestritt der frühere Leiter der Kasseler Außenstelle zunächst, dass er nach dem Mordanschlag auf den Betreiber eines Kasseler Internetcafés mit einem Beschuldigten telefoniert habe.

Erst nach Vorhalten aus Protokollen einer Telefonüberwachung gestand er die Gespräche ein. Er habe „verdrängt“, dass er mehrmals mit seinem damals unter Tatverdacht stehenden Kollegen Andreas T. telefoniert hatte. Der ehemalige Verfassungsschützer Andreas T. saß zur Tatzeit am 6. April 2006 in dem Café des Mordopfers am Computer, hatte sich aber nicht als Zeuge gemeldet. Er konnte erst nach einigen Tagen ermittelt werden, weil er sich auf einer Flirt-Website eingeloggt hatte. Zeitweilig saß T. unter Mordverdacht in Untersuchungshaft.

Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass er nur zufällig in der Nähe war, als die mutmaßlichen NSU-Terroristen Yozgat ermordeten. Er habe aus der Zeitung von dem Mord erfahren, sagte der damalige Außenstellen-Leiter Frank-Ulrich F. am Mittwoch vor Gericht. Daraufhin habe er T. gefragt, ob er das Internetcafé kenne. „Da hat er zu mir gesagt, nein, kenne ich nicht.“

Wenige Tage später habe ihn aber der Kasseler Polizeipräsident darüber informiert, dass T. unter Mordverdacht geraten sei. Noch in derselben Nacht sei T.s Büro durchsucht worden. T. sei dann vom Dienst suspendiert worden. Im Spätsommer 2006 habe T. seine persönlichen Unterlagen aus seinem Schreibtisch geräumt. „Nach einer Stunde ist er gegangen, und seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen oder gehört“, sagte der ehemalige Außenstellen-Leiter. Auf Nachfrage sagte F. ausdrücklich, er habe mit T. nie wieder gesprochen. „Herr T. war für mich tabu nach diesen Vorgängen.“

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hielt dem Zeugen dann allerdings das Protokoll einer Telefonüberwachung vor, in dem ein Gespräch zwischen ihm und T. festgehalten ist. „F. fragt den T. nach Neuigkeiten“, heißt es darin etwa. F. blieb vor Gericht zunächst dabei: „Nein, ich habe nicht mit ihm gesprochen.“ Dann erkundigte er sich: „Erkennt man meine Stimme darauf?“ Die Tonaufnahmen liegen dem Gericht allerdings nicht vor.

Schließlich meinte F., es sei doch möglich, dass er mit T. telefoniert habe – beharrte er aber darauf, dass es nur ein Gespräch war. Auch das musste der pensionierte Verfassungsschützer aber zurücknehmen, nachdem Nebenklage-Anwalt Alexander Kienzle ihm Mitschriften von zwei weiteren Überwachungsprotokollen vorhielt. Er habe „vieles verdrängt und vergessen“, sagte er zur Erklärung. „Weil ich mit dem Vorgang nichts mehr zu tun haben will. Das hat mich bedrängt und belastet.“

Als er nach seinem Tarnnamen gefragt wurde, sagte F., darüber dürfe er wegen Beschränkungen seiner Aussagegenehmigung nicht sprechen. Dann wurde er auf den Anruf eines V-Mannes aus der rechten Szene angesprochen, der im Kasseler Verfassungsschutzbüro einen Mann namens Heinz sprechen wollte. „Ich weiß nicht wer das ist“, warf F. ein. „Sie wissen nicht, wer das ist?“, fragte Anwalt Kienzle nach. „Ich war kein Heinz“, gab F. zurück. Nebenklagevertreter widersprachen der Entlassung des Zeugen. Sie wollen klären, ob noch Tonaufzeichnungen der Gespräche existieren.

„Das Aussageverhalten des Zeugen wirft mehr Fragen auf, als dieser beantwortet“, sagte Opferanwalt Thomas Bliwier nach der Vernehmung. Er vertritt Angehörige der Familie Yozgat. Man gewinne den Eindruck, „dass seitens der Behörden nach wie vor nur das preisgegeben wird, was sich anhand objektiver Ermittlungsergebnisse nicht bestreiten läßt“.

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