NSU-Prozess: Steuerte V-Mann die Terrorzelle?

13.1.2016, 18:45 Uhr
Ralf Wohlleben sagte am Mittwoch im NSU-Prozess aus und berichtete über diverse Treffen mit dem Terrortrio.

© Andreas Gebert/Archiv (dpa) Ralf Wohlleben sagte am Mittwoch im NSU-Prozess aus und berichtete über diverse Treffen mit dem Terrortrio.

Erst schwieg Ralf Wohlleben jahrelang, wie die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Vergangenen Dezember brach er sein Schweigen im Münchner NSU-Prozess, kurz nach Zschäpe. Am Mittwoch stellt er sich erstmals den Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl nach der Vorgeschichte des NSU, nach Hintergründen und Waffen.

Wohlleben ist als Organisator der "Ceska"-Pistole angeklagt, mit der die NSU-Terroristen neun ihrer zehn Mordopfer erschossen haben sollen. Die Bundesanwaltschaft hält ihn außerdem für die "steuernde Zentralfigur" hinter der Gruppe.

Wohlleben müht sich am Mittwoch sichtlich, alle Fragen des Richters so gründlich wie möglich zu beantworten und glaubwürdig und kooperativ zu wirken. Und er kommt immer wieder auf einen Mann zu sprechen, den er womöglich statt seiner für die "steuernde Zentralfigur" hält – Tino Brandt. Der war jahrelang Chef des "Thüringer Heimatschutzes", koordinierte die "Kameradschaften" in Thüringen und flog 2001 als V-Mann auf. Derzeit sitzt Brandt wegen Kindesmissbrauchs im Gefängnis.

Um Brandt, so Wohlleben, sei es etwa gegangen, als er sich Anfang 1999 mit Zschäpe und ihren beiden Freunden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos getroffen habe. Da lebten die drei schon seit einem Jahr im Untergrund und versteckten sich bei Gesinnungsgenossen in Chemnitz.

Er habe sich mit Böhnhardt von den anderen beiden ein Stück entfernt. Böhnhardt habe ihm dann gesagt, "dass er sich nicht der Polizei stellen will und dass er sich eher erschießen will". Dafür brauche er eine Waffe, bitte "ein deutsches Fabrikat". Und was die Bezahlung dafür angehe, da wende er sich bitte an – Tino Brandt.

Konspirative Kontakte über Telefonzellen

Wohlleben erklärte, er habe Böhnhardt dann aber hingehalten. Schon auf der Heimfahrt sei ihm klargeworden, dass es ihm dreieinhalb Jahre Gefängnis einbringen könne, wenn er Böhnhardts Bitte erfülle. Der habe dann immer wieder auf konspirativen Wegen über ein "Telefonzellensystem" Kontakt mit ihm aufgenommen und gefragt, ob denn schon eine Waffe in Aussicht sei.

"Ich hab dem irgendwann gesagt, dass ich jemand an der Hand habe, irgendeinen Kakao erzählt, um die hinzuhalten", erinnert sich Wohlleben. Bekommen hätten die drei die Pistole dann auf anderen Wegen, nicht über ihn, aber vermutlich mit Hilfe Tino Brandts.

Warum er das vermute, fragt Richter Götzl nach. Einmal deshalb, weil Böhnhardt ihn auf Brandt angesprochen habe, antwortet Wohlleben, und dann auch deshalb, weil Brandt selber diesen Verdacht nahegelegt habe – nämlich im November 2013, als das Gericht Brandt als Zeugen zum NSU-Prozess geladen hatte.

Wohlleben hat sich vorbereitet und nennt eine Aktenfundstelle, und dort findet sich tatsächlich ein Schreiben, in dem Brandts Rechtsanwalt Tomas Jauch den Richter bittet, auf dessen Vernehmung zu verzichten. Sollte Brandt nämlich als Zeuge aussagen, könne es passieren, dass ihm Hilfe bei der Beschaffung der Waffe vorgeworfen werden könne, "welche letztendlich von den Verstorbenen Böhnhardt und Mundlos zur Ermordung von zehn Personen verwendet wurde". Brandt stehe demnach ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, weil niemand sich selber vor Gericht belasten müsse.

Als Wohlleben dann 2001 erfuhr, dass Tino Brandt die Szene jahrelang als V-Mann ausspähte, da – so der Angeklagte – habe er das kaum glauben können. Gerüchte habe es zwar immer gegeben, aber solche Gerüchte seien über viele Leute im "nationalen Lager" umgegangen. "Nachdem klar war, dass er V-Mann war, hatte ich keinen Kontakt mehr", sagt Wohlleben an einer Stelle seiner Aussage.

Vernehmung wird am Donnerstag fortgesetzt

An einer anderen jedoch beschreibt er, dass Brandt, bis dahin Pressesprecher der NPD in Thüringen, nach seinem Auffliegen "auf mich zukam und fragte, ob ich seinen Posten als Pressesprecher übernehmen würde". Ob darin ein Widerspruch steckt, dürfte der Richter wohl mit Nachfragen überprüfen. Wohllebens Vernehmung soll am Donnerstag fortgesetzt werden.