NSU-Prozess: Will Wohlleben Zschäpe belasten?

17.1.2015, 18:44 Uhr
NSU-Prozess: Will Wohlleben Zschäpe belasten?

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Fast 40 Jahre alt, in den 1990er Jahren Funktionär der NPD in Thüringen, seit mehr als drei Jahren in Untersuchungshaft. Ralf Wohlleben ist im Münchner NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe als mutmaßlicher Waffenbeschaffer und «steuernde Zentralfigur» des Unterstützerumfelds angeklagt. Wie Zschäpe hat er bisher jede Aussage verweigert und abgewartet, was die Anklage ihm nachweisen kann. Doch nun scheint er seine Strategie zu ändern.

Am vergangenen Dienstag ließ er seine Verteidiger gleich fünf Beweisanträge verlesen. Darin verlangte er die Ladung eines guten Dutzends Neonazis in den Zeugenstand. Solche Beweisanträge waren bisher nur von Nebenklägern zu hören, also den Anwälten der überlebenden Terroropfer und ihrer Angehörigen. 

Wohllebens Verteidiger beantragten zudem, zwei der wichtigsten Geheimdienstler Deutschlands zu vernehmen - den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, und Sachsens Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath. Zusätzlich fordern sie, ein internes Handbuch der verbotenen Organisation «Blood & Honour» als Beweis einzubringen. Darin ist von führerlosem Widerstand und autonomen bewaffneten Zellen die Rede - der Strategie des NSU.

Abspaltung von "Blood & Honour"?

Dass ausgerechnet Wohlleben diese Hintergründe beleuchten will, ist fast schon kurios. Früher haben seine Verteidiger den Nebenklägern «Szene-Voyeurismus» vorgeworfen, wenn sie derartiges verlangten. 

Jetzt dagegen beziehen sich Wohllebens Verteidiger in ihren Anträgen ausdrücklich auf die Opferanwälte. Wie diese zeichnen sie ein Bild des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU), das nicht zu dem der Anklage passt. Bei der Bundesanwaltschaft gilt der NSU als abgeschottetes Trio. Wohllebens Anwälte sprechen dagegen von einem  größeren, geheimbündlerischen Netz fanatischer Rechtsradikaler - wie die meisten Nebenkläger. 

In ihren Anträgen ist von einer Abspaltung von «Blood & Honour» in Sachsen die Rede. Deren Anhänger hätten das Trio aus Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt versteckt und unterstützt. In deren Obhut habe es sich radikalisiert. Erst in Chemnitz sei der Plan für die rassistische Mordserie gereift, die vom Jahr 2000 an neun überwiegend türkischstämmigen Gewerbetreibenden und einer Polizistin das Leben kostete.

Zu dieser Zeit habe Wohlleben mit dem Trio aber nicht mehr viel zu tun gehabt, erklären die Anwälte. Die Chemnitzer Neonazis würden allesamt aussagen, dass sie Wohlleben gar nicht kennen. Stattdessen werde herauskommen, dass es sich durchweg um Waffennarren handelte, die wüssten, wie man etwa in Tschechien jederzeit an scharfe Pistolen und Gewehre komme. Einer dieser Männer habe Mundlos einmal Sprengstoff besorgt.

Das NSU-Trio soll sich außerdem nach dem Abtauchen im Jahr 1998 frei in der Chemnitzer Szene bewegt und etwa an Stammtischen teilgenommen haben, heißt es in den Anträgen der Anwälte. Auch dafür haben sie Zeugen geladen. In der Szene habe jeder gewusst, was da vor sich ging - auch die V-Leute, von denen es etliche gegeben habe. Nur eben Wohlleben soll davon nur noch wenig mitbekommen haben, sagten seine Verteidiger. Er habe in Thüringen gelebt und will keinen Draht zu «Blood & Honour» in Sachsen gehabt haben.

Vorgeschmack auf hartes Urteil

Wohllebens Vorstoß zum jetzigen Zeitpunkt dürfte kein Zufall sein. Erst kurz vor den Beweisanträgen seiner Anwälte hatte er erfahren, dass das Gericht seine Freilassung aus der Untersuchungshaft erneut abgelehnt hatte. In der Begründung musste er lesen, dass der Senat ihn weiter für «dringend» tatverdächtig hält. Die Dauer der Untersuchungshaft sei angesichts der zu erwartenden Haftstrafe «verhältnismäßig».

Das klang wie ein Vorgeschmack auf ein hartes Urteil und dürfte ihm gar nicht gepasst haben. Anders als Zschäpe hat Wohlleben eine Familie, die nach wie vor hinter ihm steht. Seine Frau nimmt gelegentlich als Beistand neben ihm auf der Anklagebank Platz. Die Familie reist regelmäßig aus Thüringen an und besucht ihn in München im Gefängnis, bestätigte seine Anwältin.

Möglicherweise kämpft Wohlleben jetzt um jedes Jahr und jeden Monat, den er früher aus der Haft kommen kann - auch um den Preis, Gesinnungsgenossen zu unangenehmen Aussagen zu drängen. In der rechtsextremen Szene ist er bisher der beliebte «Wolle», für dessen Freiheit sich eine Gruppe um seine Frau stark macht. Für manchen könnte er jetzt zum Verräter werden.

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