1. Juni 1966: Verbrecherjagd auf neuen Wegen

1.6.2016, 07:00 Uhr
Ein Beamter (Mitte) führt das tragbare Funkgerät vor, mit dem die Männer der Einsatz- und Fahndungsinspektion bei ihren Fahrten und an den Tatorten selbst ständig zu erreichen sein werden.

© Eißner Ein Beamter (Mitte) führt das tragbare Funkgerät vor, mit dem die Männer der Einsatz- und Fahndungsinspektion bei ihren Fahrten und an den Tatorten selbst ständig zu erreichen sein werden.

Sie hat dazu zwei neue Einrichtungen geschaffen, die von heute an arbeiten: eine Einsatz- und Fahndungsinspektion, die Tag und Nacht in einer Wache bereitsteht und mit den modernsten technischen Hilfsmitteln ausgerüstet ist, eine Zentralkartei mit allen Erkenntnissen über Verbrecher, angefangen bei den Personalien über Fingerabdrücke und Lichtbilder bis hin zur Vorstrafenliste. Sowohl die Kriminalwache als auch die Zentralkartei stellen eine Schritt in die Zukunft dar und müssen erst erprobt werden. Wenn sie sich so bewähren, wie es die Polizei erhofft, soll der Stadtrat endgültig "ja" dazu sagen.

So unglaublich es auch klingen mag: mit den beiden Einrichtungen will Nürnberg bahnbrechend in der deutschen Verbrechensbekämpfung wirken. Nur wenige Großstädte besitzen bisher eine Einsatz- und Fahndungsinspektion, im Präsidium liebevoll "EFI" genannt, die mit 30 Mann in vier Schichten über 24 Stunden hinweg tätig ist. Mußten bislang die Kriminalbeamten außerhalb der üblichen Bürozeit erst herangeholt werden, so können sie von nun an sofort zu allen Leichenfunden, Tatorten von Diebstählen oder von Kapitalverbrechen entsandt werden, festgenommene Täter vernehmen, Zeugen hören und Beweise sichern.

1. Juni 1966: Verbrecherjagd auf neuen Wegen

© Eißner

Die "Kriminalpolizeiliche Feuerwehr" sitzt in einem Zimmer des Präsidiums, das über Telefon und Fernschreiber mit allen Dienststellen des Bundesgebiets über Funk mit allen Streifenwagen der Schutzpolizei im Stadtgebiet verbunden ist. Der Einsatzleiter kann darüber hinaus mit einer Haussprech- und Kommandoanlage alle Beamten im Präsidium erreichen. Diese Nachrichtenmittel machen es möglich, die Kräfte der Kriminalpolizei in wenigen Minuten auf die Spur von Verbrechen zu bringen, wenn eine Tat entdeckt ist.

Die Beamten der "EFI" sind während der Fahrt und an jedem Einsatzort, ob im Wald oder auf der Spitze eines Hochhauses, ständig erreichbar, weil sie Funktelephone bei sich tragen. Bei Kapitalverbrechen sausen sie mit einem Bereitschaftswagen los, der mit Scheinwerfern, Handlautsprechern, Tonbandgeräten, Schreibmaschine, Vernehmungskabinen und Funkgeräten ausgestattet ist und als fahrbares Polizeipräsidium im kleinen gelten kann. Transportable Spezialgeräte und Photoeinrichtungen sollen garantieren, daß alle Spuren sorgfältig aufgenommen werden.

Inspektion schließt Lücken

Die Einsatz- und Fahndungsinspektion wird die Lücken schließen, die die Strafprozeßreform der polizeilichen Arbeit gerissen hat. Im Jahre 1965 ging die Anzahl der daktyloskopierten und für polizeiliche Zwecke photographierten Straftäter um ein Viertel zurück, weil die Bestimmungen der Strafprozeßordnung die sofortige Wiederentlassung des festgenommenen Straftäters erzwangen (nicht selten haben entlassene Diebe auf dem Nachhauseweg erneut gestohlen). Auch dem Unkundigen wird einleuchten, welches wichtige Überführungs- und Fahndungsmaterial der Verbrechensbekämpfung dadurch verloren geht. Die Einsatz- und Fahndungsinspektion verfügt nunmehr über die technischen Möglichkeiten, um jeden im Stadtgebiet festgenommenen Verbrecher photographieren und daktyloskopieren zu können und von ihm eine eingehende Personenbeschreibung für künftige Fahndungsfälle zu erheben, bevor der Verbrecher wieder entlassen wird.

Dient die Einsatz- und Fahndungsinspektion dazu, den Vorsprung von Tätern zu verkürzen, so ist die Zentralkartei als Vorstufe einer späteren elektronischen Datenverarbeitung gedacht, mit der das Verbrechen „aufgefangen“ werden soll. In ihr werden alle Angaben über Kriminelle gesammelt (Fingerabdrücke ebenso wie die Art des Vorgehens) und auf Karten gespeichert. Bisher mußten die Beamten beim Erkennungsdienst, in der Personalfahndungskartei und bei der Kriminalaktensammlung vorsprechen, jetzt finden sie das Material an einer Stelle vor.

Bis spätestens 1970 wird es, wie Polizeipräsident Erich Hess und Kriminaldirektor Dr. Horst Herold zuversichtlich annehmen, möglich sein, den Kriminalbeamten beim Suchen noch mehr Arbeit zu ersparen. Auf einen Knopfdruck hin soll dann eine Maschine in Sekundenschnelle jedes gewünschte Ergebnis liefern, etwa alle verfügbaren Unterlagen über einen 20- bis 30jährigen Täter, der zwischen 1,60 bis 1,70 Meter groß ist und zur Nachtzeit mit Schußwaffen auftritt.

Mit der Elektronik glaubt die Polizei, zum erstenmal in der Geschichte der Kriminalstatistik genaue Einsichten in das Wesen des Verbrechens gewinnen zu können. „Nach Auftreten, Arbeitsweise und Anfälligkeit“ werden Verbrecher immer mehr zu einer vorausberechenbaren Größe“, meinen die leitenden Beamten im Präsidium. Die Polizei wird sich also nicht mehr so sehr darauf beschränken müssen, den Verbrechern im Nachtrab zu folgen, sondern kann vorbeugend tätig werden. Dieser Weg in die Zukunft soll in Nürnberg entschlossen beschritten werden.

Verwandte Themen


Keine Kommentare