1. Oktober 1966: Der Katzenjammer über viele Verbote

1.10.2016, 07:00 Uhr
1. Oktober 1966: Der Katzenjammer über viele Verbote

© Ulrich

Es komme vielfach zu herzzerreißenden Szenen, wenn sich alte Menschen, die schon alle Verwandten verloren haben, auch noch von ihrem letzten Freund, einem Hund oder einer Katze, trennen müssen.

Dr. Borger betrachtet die Einheitsverträge des Grund- und Hausbesitzervereins als unheilvoll, weil der Mieter in dieser Zeit des Wohnungsnotstandes gezwungen sei, sie hinzunehmen. „Wenn einer zu einer billigen oder wenigstens preiswerten Wohnung kommen will, darf er kaum noch große Sonderwünsche äußern“, meint der Präsident. Aus diesem Grunde fülle sich das Tierheim immer mehr mit Hunden, die von Privatleuten abgegeben werden.

Ein schlechter Tausch

Im ersten Halbjahr 1966 sind dort 198 gefundene Tier abgeliefert worden, denen 80 Hunde gegenüberstehen, die eine gemütliche Bleibe mit den etwas kärgeren Boxen des Heimes vertauschen mußten. An die Stelle des typischen streunenden Hundes trete in zunehmenden Maße der ausgesetzte Hund, den man in einer neuen Wohnung nicht mehr brauchen kann. Dabei verkennt Borger freilich nicht, daß manche Tierbesitzer dem Hauseigentümer selbst Anlaß zu einer tierfeindlichen Haltung bieten. „Solange ich in einem Miethaus wohnen mußte, habe ich beispielsweise nach jedem Spaziergang im Regen die Fußstapfen meines Setters im Hausflur weggewischt!“

„Wauwau“ statt Lärm

Ausgesprochene Tierfeinde könnten in ihrer Haltung ebenso eine Zumutung für ihre Mitmenschen werden wie übertriebene Tierfreunde. Dr. Borger versichert für seinen Verein: „Wir reden den Übertreibungen keineswegs das Wort.“ Gerade daher aber wendet er sich gegen den Paragraphen 12 in den Mustermietverträgen, die bestenfalls noch eine Berechtigung gehabt haben mögen, als zu befürchten war, daß die Mieter Hühner, Stallhasen, Enten und Tauben auf Balkonen, in Kellern und auf dem Boden halten wollten. „Diese Zeiten sind längst vorbei“, meint der Präsident, denn heute möchten die Leute bestenfalls noch einen Hund, eine Katze oder einen Vogel haben.

1. Oktober 1966: Der Katzenjammer über viele Verbote

© Ulrich

Diese Tiere ließen sich jedoch so gut erziehen, daß sie weder stören noch belästigen müssen. „Wenn ja einmal ein Hund bellt, so ist das im Grunde gar nichts gegenüber dem nervenzerrüttendem Großstadtlärm“, sagt Borger, dem ein lautes „Wauwau“ zu früher Morgenstunde lieber ist als das Kreischen einer Straßenbahn oder die Trompetenstöße aus einem Radioapparat.

Der Hund als Sache

Der Streit um Radio- und Fernseh-Antennen, der früher oftmals mit den Hausherrn habe geführt werden müssen, sei heute der Auseinandersetzung um das Tier gewichen, obwohl es gerade in dieser Zeit von größter Bedeutung für die Jugend ist, die fast ohne Tiere in der Großstadt lebt und sie nur noch aus dem Zoo oder von Film und Fernsehen her kennt. Der Ärger um einen Hund oder die Katze rühre nicht zuletzt daher, daß das „Rechtsleben“ beide als Sache, nicht aber als lebende Wesen bezeichnet.

Dr. Borger weist aber erfreut darauf hin, daß eine ganze Reihe von Gerichten (Bielefeld, Berlin, Bayreuth und München) mit tierfreundlichen Urteilen hervorgetreten ist. Sie haben ihre Haltung etwa mit folgenden Worten begründet: „Die Kammer ist der Ansicht, daß dem Mieter grundsätzlich das Recht der Hundehaltung ohne besondere Erlaubnis zuerkannt werden müsse, da das Halten eines Hundes heute zur normalen Lebensführung gehört und deshalb noch im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mieträume liegt.“

Persönliches Verhältnis

Auch in einem Hamburger Urteil wird eindeutig erklärt, es sei nicht mehr zeitgemäß, daß eine Genehmigung für Tiere in der Wohnung mit Rücksicht auf die übrigen Hausbewohner eingeholt werden muß. „Die Haltung eines Hundes ist unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, daß sich das Verhältnis des Menschen zum Tier in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt hat. Sie bedeutet heute für die meisten Menschen mehr als nur die Anschaffung und Unterhaltung eines Spielzeugs. Das Verhältnis des Hundehalters zum Hund ist vielmehr derart persönlich, daß es einen erheblichen Eingriff in das Recht seiner persönlichen Freiheit bedeutete, sollte man ihn zwingen können, den von ihm gehaltenen Hund abzuschaffen.

Borger möchte den Hausbesitzern keinesfalls einen Schwarzen Peter zuschieben, wohl aber um Verständnis für tierfreundliche Mieter werben.

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