17. März 1967: Ehrung für Dichter Enzensberger

17.3.2017, 07:00 Uhr
17. März 1967: Ehrung für Dichter Enzensberger

© Gerardi

Er hat den Betrag, mit dem der Preis dotiert ist, 6000 DM, auf ein von einem Rechtsanwalt verwaltetes Konto überwiesen, für das er Spenden erbat: die Beträge sollen denen zukommen, die in Westdeutschland wegen ihrer politischen Gesinnung vor ein Gericht gestellt werden, in erster Linie Männer und Frauen, die aus Nürnberg stammen.

Wir haben nach der Verkündigung des Preisträgers die Zuteilung begrüßt, den Weg Enzensbergers skizziert, sein Werk charakterisiert, seinen dichterischen Rang gezeichnet und seine Bedeutung als Zeitkritiker unterstrichen. Gerade diese Aufgabe, der er mit provokantem Mut und mit ethischer Unbedingtheit sich stellt, ist ihm immer wieder von Kreisen, die ein besonderes Staatsbewußtsein gepachtet haben, verübelt worden.

Enzensberger ist in seinen kritischen Reden und Schriften keineswegs Goethes Rat gefolgt: „Willst du in Deutschland wirken als Autor, so triff sie nur tüchtig / Denn zum Beschauen des Werks finden sich wenige nur“. Enzensberger sucht nicht zu treffen, um auf sich aufmerksam zu machen, sondern um die Fragwürdigkeiten der Zustände zu treffen, damit etliche Menschen betroffen werden.

17. März 1967: Ehrung für Dichter Enzensberger

© Gerardi

Darin mündete die Laudatio, die der Kulturreferent der Stadt, Dr. Hermann Glaser, in der Feierstunde in der Meistersingerhalle hielt, in der der Oberbürgermeister dem Dichter die Verleihungsurkunde überreichte. Diese Feier, sehr gut besucht, hatte einen festlichen Rahmen und eine schöne Atmosphäre. Der Beifall, mit dem Enzensberger begrüßt wurde, hatte geradezu demonstrativen Charakter; der Beifall, der Enzensberger Rede bedankte, war begeistert.

Wenn wir heute, so schloß Dr. Glaser seine Rede, mit dem Kulturpreis 1966 Hans Magnus Enzensberger als eine bedeutende Persönlichkeit ehren, die vieles ernst nimmt, wovor die Um- und Nachwelt kuscht, so ehrt die Stadt Nürnberg mit dieser Preisverteilung sich selbst. In einem Augenblick, da Deutschtum wieder einen verdächtig nationalistischen Klang anzunehmen beginnt, und Verächter von Geist und Kritik Lamentationen anstimmen, weil die Dichter und Denker nicht das Positive genug sehen, ehrt die Stadt Nürnberg mit dem Kulturpreis in Hans Magnus Enzensberger vor allem auch ein Bewußtsein von „Deutschtum“, wie es als Gegenposition zum Klischeebild neobundesrepublikanischer Deutschtümelei so dringend notwendig ist.

Glaser deutet die Feinhörigkeit Enzensberger für die Gefahren, die noch drohen oder wieder drohen, auch daraus, daß die „Bildungselemente“ Enzensbergers in die Zeit eines kollektiven Wahnsinns, in die Barbarei des Dritten Reiches fielen. Er erwähnt, daß eine biographische Notiz des Dichters dies mit besonderen Nürnberger Hinweisen betont. Die Notiz lautet: „Geboren am 18. November 1929 in Kaufbeuren im bayerischen Allgäu (unter uns gesagt, der Geburtsort Ganghofers); als Kind in Nürnberg, Reichsparteitage vor mittelalterlicher Kulisse, im Nachbarhaus wohnte Streicher; die Leute aus den Slums brachten ihm Blumen zum Geburtstag; später kamen die Luftminen; im Winter 1944/45 zum Volkssturm.

Glaser brachte einige Beispiele, wie Enzensberger die Erlebnisse der Vergangenheit als Warnung vor Fehlentwicklung der Zukunft dienen. Er zitierte als besonders bewegendes Beispiel die Verse: „lies keine oden, mein sohn, lies die fahrpläne: / sie sind genauer. roll die seekarten auf, / eh es zu spät ist, sei wachsam, sing nicht. / der tag kommt, wo sie wieder listen ans tor / schlagen und malen den neinsagern auf die brust / zinken...“

Glaser zitierte eingangs noch andere Gedichte, um an ihnen den Versbau und die Metaphern Enzensbergers zu demonstrieren, die Entideologisierung des Schönen und das verinnerlichte Engagement, das sich zwischen den Polen lyrisch-resignatorischen Zweifels und dialektisch-zornigen Aufbegehrens entwickelt. Es wurde also das Bild des „romantischen“ und des „provokatorischen“ Enzensberger skizziert, wobei seine provokatorischen politischen Gedichte bezeichnet wurden als Menetekel für die Manager und Manipulatoren der Macht, für die ständigen Ja-Sager und Mitläufer.

Enzensberger, so faßte Glaser seine Würdigung zusammen, ist durch seine zeitkritischen Gedichte zu einem Ferment gerade auch der jungen Intelligenzschicht geworden, die sich keineswegs vor der Verantwortung drückt, die aber diese Verantwortung durch die klaren Konturen des Humanitären eingefaßt sehen und sich nicht durch Ideologien und Ressentiments den Weg vernebeln lassen will.

Zunächst, nach der Laudatio, übergab Oberbürgermeister Dr. Urschlechter die Urkunde, Enzensberger trug sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Dann las Hannes Riesenberger, vom Schauspielhaus Nürnberg, Auszüge aus dem Essay Enzensbergers über die Entstehung eines Gedichts. Reisenberger las präzise und mit geistiger Durchdringung diese Struktur-Untersuchung, diese Reflexion auf das Werden eines Textes. Sie offenbarte Grundzüge des Schaffens Enzensbergers.

Der Dichter sprach dann in seiner Dankesrede von Nürnberg; von seinem Erinnerungsbild, das sich verdichtete auf einige Leute, Typen des deutschen Volkes, typisch für die Wandlung der Epochen, und er sann den Möglichkeiten nach, wie diese Leute von der Zeit verschlungen wurden oder die Zeit überlebt und die Vergangenheit auf diese Weise bewältigt haben. Es war eine bildhafte und gedankenreiche, eine großartige Rede.

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