18. November 1968: Löwin bricht aus und läuft durch die Stadt

18.11.2018, 07:00 Uhr
18. November 1968: Löwin bricht aus und läuft durch die Stadt

© Ulrich

Während das ausgewachsene Tier gravitätisch über die AIlersberger Straße und durch die Fischbachstraße marschierte, flüchteten die Passanten in Hauseingänge und Telefonzellen. Der „König der Wildnis“ kümmerte sich um dIe Panikstimmung nicht, sondern trabte in aller Ruhe weiter und blieb schließlich vor dem Schaufenster eines Möbelgeschäftes in der Fischbachstraße stehen. Dort wurde „Sylvia“ von zahlreichen Streifenwagen der Polizei und Feuerwehrautos eingekesselt und von Angestellten des Circus Fischer auf das Grundstück wieder zurückgetrieben. Bis die Löwin wieder in ihrem Käfig auf Nummer sicher saß, war eine Stunde vergangen.

„Ich dachte, mich rührt der Schlag“, schildert der 28jährige Fabrikarbeiter E. Frisch sein überraschendes Erlebnis mit der Löwin. Der Mann stand gegen 10 Uhr vor dem Hans-Sachs-Theater, wo er interessiert die Filmaushänge studierte. Als er ahnungslos zur Seite blickte, traute er seinen Augen nicht: hinter ihm tauchte urplötzlich „Sylvia“ auf. Doch das Tier ging nicht zum Angriff über, sondern stolzierte mit majestätisch erhobenem Haupte in Richtung Fischbachstraße davon.

Kopfgroße Lücke genügte

Wieso die Löwin aus ihrem Käfig ausbrechen konnte, ist noch nicht restlos geklärt. Vermutlich war beim Füttern das Gitter nicht ordnungsgemäß verschlossen worden: Eine kopfgroße Lücke genügte „Sylvia“, sich in die Freiheit zu zwängen. Löwenmännchen „Attila“ verließ dagegen den Käfig nicht. Als schließlich „Sylvia“ vor dem Schaufenster eines Möbelgeschäfts in der Fischbachstraße angelangt war, tauchten mit Blaulicht und Sondersignal die ersten Streifenwagen der Polizei und Feuerwehrautos auf. Ohne daß die Löwin einen Fluchtversuch unternahm, wurde sie von den Fahrzeugen umzingelt.

Die nächsten Minuten waren aufregend und spannend zugleich: unerschrocken näherten sich Circus-Chefin Frau Fischer und der 16jährige Artist Rolf Cramer dem Tier und redeten ihm pausenlos gut zu. Den beiden gelang es schließlich, „Sylvia“ durch ein Loch im Schiffmattenzaun, der den Standplatz: des Unternehmens an der Allersberger Straße umgibt, zu locken.

Gewehr im Anschlag

Die schwierigste Arbeit stand den Artisten aber noch bevor: die Löwin in Sicherheit zu bringen, ohne daß auch „Attila“ ausbricht. Polizeibeamte mit Maschinengewehren im Anschlag und Feuerwehrleute mit einsatzbereiten Wasserschläuchen verfolgten das dramatische Geschehen. Offenbar durch die neugierige Menge nervös geworden, fiel die Löwin plötzlich den 16jährigen Artisten Rolf Cramer an und schlug ihn mit ihrer rechten Pranke auf den Rücken.

Sofort traf ein dicker Wasserstrahl das Löwenweibchen, das von seinem leicht verletzten Opfer losließ. Unterdessen bemühten sich Polizeibearnte, den Besitzer der Löwin, den 48jährigen Heinz Fischer zu holen, der sich in einer Imbißstube in der Stadt befand. Außerdem verständigte die Polizei einen Tierarzt, der „Sylvia“ mit einer Injektionspistole unschädlich machen sollte.

Der „König der Wildnis“ brauchte jedoch nicht betäubt zu werden: Heinz Fischer karn rechtzeitig an. Der erfahrene Dompteur beruhhigte das aufgeregte Tier und versuchte es mit einem Stuhl und einem Stock in den Käfig zu treiben. Mit bangen Blicken verfolgten zahlreiche Zuschauer das seltene. Schauspiel. Nach etwa zehn Minuten war es geschafft: „Sylvia“ sprang in den Käfig zurück. Die Zaungäste atmeten erleichtert auf und spendeten dem Dompteur für seine Leistung minutenlang Beifall.

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