1950: Ein Stein des Anstoßes

18.12.2010, 14:08 Uhr
1950: Ein Stein des Anstoßes

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Diebe hatten den „Stone Of Scone“ aus seiner Verankerung unter dem Krönungsstuhl des einstmals so stolzen Empires gelöst und mitgenommen. Sofort wurde eine Großfahndung eingeleitet und Scotland Yard bat die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach dem massiven Steinblock.

Nicht alle konnten die Aufregung ganz nach vollziehen. So titelten die Nürnberger Nachrichten: „Ganz England in Aufregung — um einen Stein“. Auch der britische Manchester Guardian spottete: „Ein kümmerlicher Steinbrocken aus Schottland, der von kaum zivilisierten schottischen Königen im Zeitalter der Barbarei als Zauber benutzt wurde. Sollte der Verlust dieses Steines uns Engländer wirklich so aufregen?“

Konflikte befürchtet

Offensichtlich schon, zumindest wenn es nach der britischen Regierung ging. Diese war „not amused“ über diesen Vorfall, fürchtete sie doch ernsthafte innenpolitische Konflikte. Als Täter hatte man nämlich sehr schnell schottische Patrioten im Verdacht, die mit dem Diebstahl Aufmerksamkeit für ihre Forderung nach einer weitgehenden Selbstbestimmung Schottlands erringen wollten.

Deshalb wurden, erstmals seit 700 Jahren, die Grenzen zwischen England und Schottland geschlossen. Den Sandstein-Block sahen nicht wenige Bewohner des nördlichen Großbritannien eigentlich als Eigentum Schottlands an. Er war einst wichtiger Teil des Krönungs-Zeremoniells der schottischen Könige gewesen.

Die Geschichte des auch als „Jakobskissen“ bekannten Steines ist eng mit der reichen britischen Mythologie und Sagenwelt verwoben. Angeblich kam er zusammen mit dem ersten schottischen König Coinneach MacAilpein im 9. Jahrhundert aus Irland nach Schottland. Einer anderen Legende zufolge brachte ihn die Pharaonen-Tochter Scota, die als Stammmutter aller gälischen Völker gilt, aus Ägypten mit.

Gesichert ist jedenfalls, dass der rechteckige Felsblock bis Ende des 13. Jahrhunderts in Scone, dem damaligen kultischen Zentrum der Schotten, in der dortigen Abtei aufbewahrt und jeweils bei Krönungen hervorgeholt wurde. Anschließend stellte man ihn auf dem Moot Hill, einem künstlichen Hügel in der Nähe der Scone Abbey, auf und krönte den König über dem Stein.

Dieses Ritual fand 1296 ein Ende, als der damalige englische König Edward I. den „Stone Of Scone“ als Kriegsbeute mit nach London brachte und unter der Sitzfläche des englischen Krönungsstuhls einsetzen ließ. Seitdem galt das „Jakobskissen“ als Symbol der Einigkeit von England und Schottland sowie des Herrschafts-Anspruchs der britischen Könige über beide Länder.

Im Kofferraum verstaut

Das sahen die schottischen Studenten Ian Hamilton, Gavin Vernon, Alan Stuart und Kay Matheson jedoch anders. In den frühen Morgenstunden des 25. Dezember 1950 zogen sie den immerhin 152 Kilogramm schweren Sandstein-Quader aus seiner Nische unter dem Stuhl hervor und schafften ihn im Kofferraum ihres Wagens in die Arbroath Abbey an der Ostküste Schottlands.

Dort fand ihn die Polizei im April des darauf folgenden Jahres und brachte ihn wieder zurück nach London. Im Jahr 1953 wurde, als bis jetzt letzte britische Herrscherin, Königin Elisabeth auf dem nun wieder vollständigen englisch-schottischen Krönungsstuhl gekrönt. Die vier national gesinnten Schotten wurden entlarvt und verhaftet, eine Verurteilung erfolgte jedoch nicht.

Bis heute wollen die Gerüchte nicht verstummen, dass es sich bei dem Stein ohnehin um eine Fälschung handeln könnte. So existieren mehrere Ausführungen des Quaders, die wohl bekannteste davon steht in einem Park in der Nähe der alten Krönungsstätte Moot Hill.

Original oder Fälschung?

Einer anderen Version nach habe es sich bei dem entwendeten Stein sehr wohl um das Original gehandelt, allerdings hätten die Diebe der Polizei eine Fälschung untergeschoben. Eine amüsante Vermutung. Dann hätte das Krönungszeremoniell Königin Elisabeths zur Königin von England und Schottland über einem gefälschten Symbol statt gefunden.

Wie auch immer: Für die schottische Seele war es eine Wohltat, als das sagenumwobene Herrschaftssymbol der alten schottischen Könige 1996 endlich von London in die schottische Hauptstadt Edinburgh überführt wurde. Zwei Jahre später folgte mit dem „Scotland Act“ eine eigene schottische Wahlordnung und 1999 trat mit dem schottischen Parlament erstmals seit Hunderten von Jahren wieder eine schottische Regierung mit Weisungsbefugnis zusammen. Diesmal freilich ohne Krönungsstein.

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