2. Juli 1966: Fußgänger wird König

2.7.2016, 07:00 Uhr
2. Juli 1966: Fußgänger wird König

© Ulrich

Oberbaurat Diether Kohler, der Leiter des Stadtplanungsamtes, legte gestern dem Verkehrsausschuß ein ausgeklügeltes Einbahnsystem vor, das von den Stadträten sicherlich zu Recht mit einigen Vorschußlorbeeren bedacht worden ist. Es geht von der Ludwigstraße entweder über den Jakobsplatz und die Jakobstraße oder über die Nadlers- und Kohlengasse zum Kornmarkt und Hallplatz, über die Königstraße nach Norden und die Karolinenstraße in Richtung Weißer Turm.

Bevor dieser Ringverkehr eingeführt werden kann, der die spätere Regelung mit der geplanten Kurt-Schuhmacher-Straße vorweg nimmt, müssen einige Korrekturen überstanden sein. Die nördliche Fahrbahn der Karolinenstraße bekommt an der Haltestelle Lorenzkirche zwei Spuren.Die Ecke Hallplatz-Königstraße wird sogar mit fünf Fahrspuren bestückt: eine für die Linksabbieger, zwei für die Geradeausfahrt zur Theatergasse und zwei für die Rechtsabbieger zur Luitpoldstraße. Dazu kommen fünf Signalanlagen an den Brennpunkten.

Sonst aber läßt sich das System mit Schildern in die Tat umsetzen, wobei sich die Kraftfahrer – vor allem die Einheimischen – freilich erst an die neue Gefechtslage gewöhnen müssen. So wird es dann zum Beispiel mit der Fahrt über die südliche Fahrbahn des Kornmarktes und die Klaragasse vorbei sein. Und in der Färberstraße wird plötzlich die Einbahnregelung in umgekehrter Richtung gelten.

Für den „König Fußgänger“ aber fallen bei der Operation noch zwei andere erfreuliche Nebenprodukte ab. Ihm werden auch die südlichen Fahrbahnen an der Haltestelle Lorenzkirche und am Weißen Turm gehören, weil sich dort kein Auto mehr blicken lassen darf. Allerdings gilt das Fahrverbot in der neuen Fußgängerzone der südlichen Altstadt nicht rigoros. Weil die Belieferung der Geschäfte an der Breiten Gasse allein durch die Hintertürchen an der Brunnengasse und Frauengasse nicht möglich ist, dürfen Lieferwagen das Hoheitsgebiet der Passanten befahren, wenn erfahrungsgemäß am wenigsten los ist: am Vormittag bis 11 Uhr und am Nachmittag zwischen 14 und 16 Uhr.

In die Freude der Stadträte über das Werk fiel gestern allerdings ein Tröpfchen Wermut. Baureferent Heinz Schmeißner setzte sich – obgleich er sich mit dem Einzelhandelsverband einig weiß – mit dem Flugblatt der "Interessengruppe Breite Gasse" auseinander, in der das Vorhaben rundweg als "Mord" abgetan wird, weil die Parkmöglichkeiten fehlten.

Abgesehen davon, daß innerhalb von zumutbaren vier Gehminuten 350 Parkplätze (in sechs Minuten Entfernung sogar 840) zur Verfügung stehen, erklärte der Baureferent: "Wir wollen eine Verjüngungskur machen und keinen Mord begehen. Gerade das Herz der Altstadt muß kräftig schlagen."

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