2000 Nürnberger müssen in Obdachlosenheimen schlafen

15.11.2018, 10:48 Uhr
2000 Nürnberger müssen in Obdachlosenheimen schlafen

© Martin Gerten/dpa

Die Erinnerung an den Winter auf der Straße lässt Klaus Schuster (Name geändert) noch immer erschaudern. Regelmäßig suchte er Zuflucht im Hauptbahnhof. "Oft saß ich im Burger King. Da war das Personal verständnisvoll und hat mich sitzen lassen", erzählt er aus der dunkelsten Zeit seines Lebens. Fast die ganze Nacht konnte er dort verbringen, erst morgens um fünf schließt das Fast-Food-Restaurant.

Die Trennung von seinem Partner, damals im Hebst 2014, hat Schusters Leben entgleisen lassen. Die gemeinsame Wohnung musste er verlassen, kam zunächst bei Verwandten und Bekannten unter. "Aber irgendwann wollte ich eben auch nicht schon wieder fragen, ob ich da übernachten kann", sagt Schuster. Dann verlor der gelernte Industriekaufmann, der inzwischen als Kellner arbeitete, aus gesundheitlichen Gründen auch noch seinen Job. 

Eine Situation, die vermeidbar gewesen wäre, sagt Reinhard Hofmann. Er leitet im Sozialamt die Fachstelle für Wohnungsfragen und Obdachlosigkeit. "Jeder, der untergebracht werden will, wird von uns untergebracht", sagt er. Die Stadt muss das anbieten, schließlich hat sie den Auftrag, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten. Daraus leite sich ab, Obdachlosigkeit zu vermeiden, beziehungsweise zu beseitigen, erklärt Hofmann. Zu diesem Zweck hat die Stadt Wohnungen angemietet und betreibt – in Kooperation mit freien und kirchlichen Trägern – Obdachlosenunterkünfte.

2000 Nürnberger müssen in Obdachlosenheimen schlafen

© Dominik Mayer

Der Bedarf an Plätzen wächst. "Wir haben mittlerweile gut 2000 Personen, die in solchen Einrichtungen wohnen. In den vergangenen Jahren gab es einen deutlichen Anstieg." Dazu kämen noch etwa 50 Menschen, die sich dauerhaft im Freien aufhielten. Diese könnten aber Notschlafstellen aufsuchen, wie etwa das Haus Großweidenmühle. Dort können sich Menschen, die die Nacht nicht im Freien verbringen wollen, ab dem frühen Abend aufhalten. Am nächsten Morgen müssen sie die Einrichtung dann wieder verlassen.

Ein Ort, den Obdachlose häufig aufsuchen, ist die ökumenische Wärmestube. Die Einrichtung an der Köhnstraße, unweit des Hauptbahnhofes, bietet Bedürftigen täglich ein warmes Mittagessen. Außerdem können die Menschen duschen und ihre Wäsche waschen. Manuela Bauer, Leiterin der Wärmestube, beobachtet einen besorgniserregenden Trend: "Wir haben hier zunehmend Menschen, die aus dem normalen gesellschaftlichen Leben herausgefallen sind."

Nürnberg kämpft mit sozialen Problemen  

Dazu kommen Arbeitsmigranten, denen es nicht gelungen ist, in Deutschland Fuß zu fassen. Außerdem gibt es immer mehr "wirklich verarmte" Rentner, die schließlich schamerfüllt zum Mittagessen kommen, da sie sich von ihrem eigenen Geld keine warme Mahlzeit leisten können. Bauers Einrichtung arbeitet inzwischen an der Belastungsgrenze. 200 Mittagessen gehen täglich über den Tresen. Insgesamt wird die Wärmestube im laufenden Jahr 55.000 Mahlzeiten ausgeben. Im Jahr 2010 waren es nur 40.000. Das entspricht einem Anstieg von rund 37 Prozent.

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© Stephan Minx

Viele, aber längst nicht alle, die hier essen, sind obdachlos. "So etwa 60 bis 70 Prozent der Besucher haben keinen festen Wohnsitz, der Rest schon", sagt Manuela Bauer. Meistens seien es persönliche Katastrophen, die Menschen in die Wohnungslosigkeit abgleiten ließen. Eine Krankheit, eine Trennung, ein Jobverlust – und plötzlich wächst einem das Leben über den Kopf. 

"Ein Bett, der Himmel auf Erden" 

Sie rät, möglichst früh gegenzusteuern: "Zunächst würde ich empfehlen, wirklich alles in Kauf zu nehmen, um ein Dach über dem Kopf zu haben." Wer erst mal längere Zeit obdachlos ist, bleibt das meistens auch. An einer Wohnanschrift hängt das ganze Leben. Viele Obdachlose bekommen auch keine Sozialleistungen, wie etwa Hartz IV. Zwar haben die Betroffenen darauf Anspruch, doch wer ohne festen Wohnsitz ist, schafft es kaum, die notwendige Kommunikation mit den Behörden abzuwickeln.

Klaus Schuster hat den Absprung aus der Obdachlosigkeit geschafft. Im September 2016 gab er sich einen Ruck und holte sich Hilfe.  Inzwischen hat wieder eine eigene Wohnung und arbeitet 30 Stunden pro Woche für die Stadtmission. Er ist dankbar für sein neues Leben: "Ich weiß nicht, ob ich noch einen Winter im Freien überlebt hätte." 

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