21. Januar 1965: Die Streitaxt wurde begraben

21.1.2015, 07:00 Uhr
21. Januar 1965: Die Streitaxt wurde begraben

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In der ersten gemeinsamen Sitzung der beiden Stadträte seit Menschengedenken versicherten Oberbürgermeister Dr. Urschlechter und sein Fürther Kollege Kurt Scherzer im Nürnberger Rathaus, daß beide Städte künftig enger und freundschaftlicher als bisher zusammenarbeiten wollen. Das althergebrachte Mißtrauen zwischen den Menschen hier und dort soll nach und nach abgebaut werden.

Schon bei der ersten Begegnung an diesem „denkwürdigen Tag in der Geschichte“ fanden sich die Stadtparlamente zu einer Entschließung zusammen: sie richteten die dringende Bitte an den Bund, die Schnellstraße von der Kurgartenbrücke nach Eltersdorf so rasch wie möglich auszubauen und das nötige Geld dafür zu geben.

Beide Seiten taten alles, um den Besuch der Fürther zu einem Ereignis werden zu lassen, aus dem eine neue Freundschaft wachsen kann. Dr. Urschlechter erwies seinem Kollegen Scherzer eine hohe Ehre, als er ihm das traditionelle Geschenk der alten Reichsstädte – ein Pfund Pfeffer, ein Paar weiße Handschuhe und ein Holzstäbchen (die Insignien der Zollfreiheit und freien Beweglichkeit) – feierlich überreichte. Die Fürther brachten als kostbare Gabe ein handgeschriebenes Ratsbuch der Stadt Nürnberg mit, in dem geschildert ist, welche Herren dem Rat von 1340 bis 1626 angehört haben. Ein schwarzer Geißbock aus Stoff stellte sich als ebenso lustiges wie tiefsinniges Mitbringsel vor.

Historische Differenzen

Da geht die Sage, daß Heinrich V. um das Jahr 1105 mit seinem Vater, Heinrich IV., in Streit lag. Der Vater suchte Zuflucht in Nürnberg, der Sohn hielt sich in Fürth auf und überlegte, wie er die alte Reichsstadt „einvernehmen“ kann. Ein Schwarzkünstler gab Heinrich V. den guten Rat: „Nimm´ einen schwarzen Bock und eine weiße Geiß, hänge dem Bock ein goldenes, der Geiß ein silbernes Halsband um, trage beide in die Stadt hinein und greife an dreizehn Stellen zu gleicher Zeit an und Du wirst sie einnehmen.“ Er kam nie hinein. Die Fürther brachten das Stofftier auch nur mit, um die Herzen ihrer Nachbarn einzunehmen, wie ihr Oberbürgermeister sagte.

Ansonsten aber hielt man sich an die These von Dr. Urschlechter: „Wir wollen nicht bei Karl dem Großen beginnen, manche Begebenheit aus der Vergangenheit vergessen und uns mit der Gegenwart und Zukunft unserer Städte befassen.“ Er erinnerte nur in einem kurzen Streifzug an so gute Beziehungen wie durch die erste deutsche Eisenbahn, an das Entgegenkommen der Fürther, die ausgebombten Nürnbergern Obdach und Wohnraum gegeben haben, und an den ersten und damals einzigen Straßenbahnzug zwischen Plärrer und Freiheit im Mai 1945. „Brücken haben immer schon zwischen beiden Städten bestanden, auch wenn die Menschen verschiedene Dialekte sprechen!“

Neidlos erkannte Urschlechter an, Fürth habe den älteren Markt besessen, so daß Oberbürgermeister Scherzer ruhig behaupten konnte, bei diesem Besuch sei es fast so, als ob die Mutter zur Tochter kommt. Scherzer mußte jedoch gestehen, daß die Mutter ein stilles, bescheidenes Dasein weiterführt, während die Tochter zu Rang, Reichtum und Ansehen gelangt ist. Er tröstete sich damit, daß manches von dem auf Fürth zurückgefallen sei.

21. Januar 1965: Die Streitaxt wurde begraben

© Gerardi

Der Fürther Oberbürgermeister kam auch noch darauf zu sprechen, weshalb diese erste Begegnung der Stadträte so lange auf sich hat warten lassen. Es sei oft der weiteste und längste Weg, bis sich die nächsten Nachbarn treffen. Selbst enge Verwandte wollten nicht immer zuviel voneinander wissen. Noch in den letzten Tagen sei scherzhaft in seiner Stadt behauptet worden, die Stadträte bewaffneten sich und machten Schießübungen. Dabei waren sie ohne Dolch im Gewande gekommen, und hatten den guten Willen mitgebracht, in Gesprächen alles offenzulegen.

Versöhnliche Gesten beider Seiten

Ob solcher Beteuerungen konnte Oberbürgermeister Dr. Urschlechter ausrufen: „Die Familienfeier hat begonnen.“ Sie fing zunächst damit an, daß die Fürther eine kleine Wunschliste vorlegten. Ihr Sinnen ging danach, bei der „reichen Tochter“ anzuklopfen, ob dort nicht etwas zu holen sei. Und es stellte sich sogleich heraus, daß die Nürnberger dafür recht offene Ohren hatten. Jede Freundschaft kostet eben auch ihren Preis.

Folgende fünf Fragen, „die auch den Mann auf der Straße in Fürth beschäftigen“, legte Oberbürgermeister Scherzer seinen Gastgebern vor: Was kann getan werden, um den Straßenbahnbetrieb zu fördern? Warum steigt uns der Duft der Kläranlage bei Muggenhof in die Nase? Wann bekommt Nürnberg Wasser aus dem Donauraum? Können wir auch mit Gas versorgt werden? Welche Aussichten bestehen, Müll in die geplante Verbrennungsanlage beim Schlachthof liefern zu dürfen? Damit waren einige wichtige Dinge angesprochen. Sie wurden von den Nürnbergern sofort beantwortet, obwohl sich beide Seiten einig sind, daß darüber noch lange verhandelt werden muß.

Mit einem Satz enthüllte Prof. Dr. Joseph Ipfelkofer, der Generaldirektor der Städtischen Werke, worum es den Nürnbergern auch ein wenig geht. „Man muß die Kosten gemeinsam tragen“, meinte er, als er auf den Straßenbahnverkehr, das hohe Defizit von 14 Millionen DM im Jahr und die Kritik an der Tram zu sprechen kam. Ipfelkofer gestand, daß die Straßenbahn heute oft nur recht langsam vorankommt, doch sei dies nicht nur in Nürnberg und Fürth so. Er richtete einen dringenden Aufruf an die Stadtverwaltungen und die Verkehrspolizei, der Straßenbahn zu freier Fahrt zu verhelfen. Die vielen Verkehrsampeln störten die Wagen ebenso wie die Linksabbieger.

Besser Auskünfte konnte der Generaldirektor in Sachen Gas und Wasser geben. Für die Gasversorgung wird gegenwärtig in Nürnberg eine Spaltanlage für Leichtbenzin gebaut, die bis Jahresende fertig und 600 000 Kubikmeter pro Tag liefern soll. Seit langem wird mit Fürth über einen Anschluß an das Netz verhandelt, das heute schon bis Ansbach und Hersbruck, Eichstätt und Erlangen reicht. Ein Vertragsentwurf gehe den Fürthern in den nächsten Tagen zu. Die Donauwasserleitung soll Nürnberg schon im Jahre 1968 erreichen und in jeder Minute 4000 Liter liefern. Oberbürgermeister Scherzer gab zu erkennen, daß sich seine Stadt an einem Zweckverband beteiligen will, der das kostspielige Projekt von 250 Millionen Mark finanzieren muß.

Baureferent Heinz Schmeißner versicherte, daß alles getan werde, die Kläranlage nicht länger zum Himmel stinken zu lassen. Außerdem gebe Nürnberg Millionen und Abermillionen aus, um die Pegnitz von Abwässern freizuhalten. „Es wird eifrig gearbeitet, die Mißstände zu beseitigen“, sagte Schmeißner und bat die Fürther herzlich um ein wenig Geduld. In Wort und Bild führte er dann noch Nürnbergs Pläne für die Zukunft vor und kommentierte das Schlußphoto von der Schnellstraße mit den Worten: „Wir wollen auf der neuen Straße gut zusammen marschieren!“ An dieses Vorhaben knüpfte er auch die Hoffnung, daß von beiden Städten bald nicht mehr länger gesagt werden müsse, sie kehrten sich ausgerechnet ihre unedelsten Körperteile zu.

Gemeinsame Projekte

Am meisten macht den Fürthern der Müll zu schaffen, der ihnen über den Kopf zu wachsen droht. Schon im nächsten Jahr haben sie dafür keinen Platz mehr, aber dann erst wird mit dem Bau der Verbrennungsanlage in Nürnberg begonnen, die bis Herbst 1968 fertig werden soll. Dieses Bauwerk kommt für Fürth günstig an die Schnellstraße beim Schlachthof zu stehen und wird mit dem Nürnberger Müll bis 1977 nicht voll ausgelastet sein. „Sie müssen prüfen, ob es sich für sie lohnt, ihren Unrat dort hinzuschaffen“, sagte Wirtschaftsreferent Dr. Johann Sebastian Geer zu den Gästen.

Trotz der langen Reden war also noch vieles übrig geblieben, worüber man in Zukunft sprechen kann. Die beiden Stadträte einigten sich deshalb darauf, ihre Fachausschüsse gemeinsam tagen zu lassen, wenn beiderseitige Probleme berührt werden. „Dabei soll jeder seine Karten offen auf den Tisch legen, damit das Mißtrauen schwindet“, erklärte Oberbürgermeister Dr. Urschlechter.

Er bekam gleich darauf das Ja-Wort von beiden Seiten für die Entschließung an das Bundesverkehrsministerium, von dem der Ausbau der Schnellstraße außerhalb des Stadtgebiets erbeten wird. Gerade dieses Teilstück ist dringend notwendig, weil es den Anschluß zur Autobahn Nürnberg-Frankfurt herstellt. Die übrigen provisorischen Zubringer in beiden Städten reichen längst nicht mehr aus.

Noch ehe sich die Stadtväter aus beiden Rathäusern bei einem Umtrunk persönlich näherzukommen suchten, faßt Oberbürgermeister Scherzer den Eindruck der ersten Begegnung in die Worte: „Die heutige Sitzung kann nur ein Anfang sein . . .“ Ein Anfang für eine neue Städtefreundschaft.

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