24. August 1966: Türme unter Hügeln begraben

24.8.2016, 07:00 Uhr
24. August 1966: Türme unter Hügeln begraben

© Gerardi

Wo sich einst die sechs gesprengten Türme in die Höhe reckten, erhebt sich jetzt ein rund 14 Meter hoher Wall aus 130.000 Kubikmetern Erde, Steine und Betontrümmern. Darauf werden einmal die Bürger von Langwasser im Sommer spazierengehen können. Im Winter bieten die Hänge ihren Kindern Gelegenheit zu fröhlichen Rodelpartien. Außerdem schirmen sie die Häuser vom Lärm der Oppelner Straße ab, die zur „Rollbahn“ in den neuen Stadtteil werden soll.

Drei Kilometer davon entfernt, in der Nähe der Breslauer Straße, türmen sich 20.000 Kubikmeter Travertinstein, der bisher nutzlos im Gelände lag und nun zu Wandverkleidungen, Bodenplatten oder Fensterbänken verarbeitet wird. Wer will, kann sich sogar einen Tisch mit einer Platte vom Reichstagsgelände in die gute Stube stellen.

24. August 1966: Türme unter Hügeln begraben

© Gerardi

In Umrissen ist bereits zu erkennen, was sich auf dem Nordwestteil von Langwasser – mit 100 Hektar rund ein Drittel kleiner als die Altstadt – in den nächsten Jahren abspielen wird. Die Oppelner Straße rückt 60 Meter nach Nordosten dicht an den Wall heran, der nur noch fein planiert und mit Humus bedeckt werden muß. In der Mitte klafft noch eine Lücke. Dort stand einst der hartnäckige Turm Dora, der mehreren Sprengversuchen trotzte. Er mußte samt dem Fundament beseitigt werden, weil hier die Kreuzburger Straße in die Oppelner Straße einmündet.

Doch nicht nur Planierraupen, Bagger und mehrere Muldenkipper beherrschen das weite Feld. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Nürnberg (WBG) läßt auf dem Gelände, auf dem sich vereinzelt Brombeerpflückerinnen durchs Gebüsch schlagen, die gefährlichen Stellen „entschärfen“. Zwar können die Fundamente der nie gebauten restlichen Märzfeldtürme in der Erde stecken bleiben, weil die Planer an diesen Flecken Grünanlagen oder Parkplätze vorsehen. Aber es gibt mitten im Unterholz einige sichtbare Überreste, um die sich im Laufe der Jahre das Wasser gesammelt hat, so daß gerade spielenden Kindern Gefahr drohen könnte. In einigen Monaten werden aber auch diese Löcher eingeebnet sein.

Wann allerdings die fünf Türme entlang des US-Landeplatzes dem Erdboden gleichgemacht werden können, steht noch nicht genau fest. Die WBG möchte sie zwar fallen sehen, noch ehe die Amerikaner ausgezogen sind. Sollte aber die inzwischen vorgebrachte Bitte abgelehnt werden, so wird es wohl noch bis 1968 dauern.

Die im ganzen Gelände verstreuten Travertinblöcke aber haben samt dem noch verwertbaren Material aus den Türmen inzwischen den Standort gewechselt. Ein Unternehmer ging das Wagnis ein und nahm der WBG die Steine ab, die zuvor niemand haben wollte. Zwischen Ende Februar und Mitte Juli wurden sie für 300.000 Mark drei Kilometer weiter an die Breslauer Straße gekarrt, wo auf einem vom Staatsforst gepachteten Gelände eine Fabrik entstand. „Wir sind froh, daß die Klötze volkswirtschaftlich verwendet werden“, meinte WBG-Direktor Diplom-Volkswirt Joseph Haas zu dieser Lösung, denn aus dem Travertin entstehen nützliche Dinge.

Die Quader wandern unter ein Diamant-Gatter, in die „Torpedo-Säge“ und in eine diamantbesetzte Kreissäge, die demnächst aufgestellt wird. Heraus kommen handliche Platten der verschiedensten Größen und Formate, die zum Teil im rohen Zustand als Baustoff für Außenverkleidungen oder als Platten für Gartenwege verkauft werden. Gespachtelt und poliert kommen sie beispielsweise als Fensterbänke auf den Markt. Außerdem gibt es Abnehmer, wenn sie mit Polyester gespritzt worden sind. Der Abfall aber wird zu Kies vermahlen.

Das Unternehmen – „bis zum März wußte ich nicht, was Travertin ist“, bekennt einer der Inhaber – hat inzwischen noch ein anderes Pferdchen gesattelt, um die „Bodenschätze“ vom Märzfeld zu verwerten. Es stellt Tische her, deren Platten aus dem haltbaren Stein bestehen. Wer will, kann sich ein solches Möbel ins Wohnzimmer stellen und dazu beitragen, daß sich der Aufwand lohnt.

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