25. Juli 1966: Der Sturm auf „Schlager“

25.7.2016, 07:00 Uhr
25. Juli 1966: Der Sturm auf „Schlager“

© Gerardi

Was längst nicht mehr erwartet wird, trat sogar ein: Hunderte von „Schlachtenbummlern“ hatten schon ab 7 Uhr früh vor den großen Kaufhäusern Posten bezogen, um als erste am Ziel ihrer Wünsche zu sein. Dieser Schlußverkauf unterm Motto „Der nächste Sommer kommt gewiß“ bot den Unentwegten viele Chancen, sich für sonnigere Tage günstig einzudecken, gleichgültig was die launische Frau Mode dazu sagt.

So zäh wie die Tiefdrucks marschieren (der Himmel hing meist voller düsterer Wolken), so eilfertig spazierten „Verbraucher“ durch die Straßen der Stadt, um in den Geschäften den Rahm abzuschöpfen. Hier galt es, angestaubte Damenblusen für 95 Pfennig (zuvor 17 DM), dort verknitterte Herrenmäntel für 18 DM zu ergattern. „Die Lais kennt mer krieg‘n!“, versicherte eine Verkäuferin an einem Tisch, auf dem sich Lederschuhe ab 3,90 DM stapelten. Hier war aus der Wühlerei quer durch die hochhackige Fußbekleidung die reinste Keilerei geworden. Und das schon nach drei Stunden ermattete Fräulein im blauen Kittel rang angesichts der Umlagerung nach Sauerstoff, Geld und guten Worten. „Leit gibt‘s…!“

Nicht weniger turbulent ging es bei der Schlacht um kurzärmelige Herrenhemden (ab 6 DM) zu. Die Damen aber hinter jenem „Ladenquadrat“, auf dem Berge von Stoffen – Baumwollware zu einer Mark – kreuz und quer durcheinanderlagen, wissen seit gestern erst recht, was ein Ansturm ist: sie konnten die Kundinnen nicht mehr bedienen und beraten, sie hatten als einzige Fuchtel nur noch die Elle, um in Sekundenschnelle die gewünschten Meter abzumessen und abzuschneiden. Ruck-Zuck ging das – und doch noch viel zu langsam für die Frauen, die in Trauben auf ihren Auftritt warteten.

Zügig, aber ohne „Wallungen“, wickelte sich das Geschäft in hochwertigen Artikeln ab, die zwar der Saison unterworfen, aber dennoch von langlebiger Haltbarkeit sind: Regen- und Wettermäntel, Kostüme und Pullover, Bade- und Reisetaschen, Camping-Zubehör und Sportbekleidung. Überall waren die Preise hierfür stark herabgesetzt; es lohnte sich zu kaufen. Auch um verbilligtes Bettzeug, Tischdecken und Kindersachen gab es keine Kämpfe, doch erstanden wurde viel. Erschöpft saßen so manche jüngeren und älteren Frauen auf den Treppenstufen in Geschäften und im Bahnhof, die Hände in Tüten- und Netzhenkel gaballt. Zahlreiche Schlußkäuferinnen waren von auswärts gekommen.

So fand dieses „Leerfegen“ der Regale wieder ein erstaunliches Echo – auch bei den Ausländern, die offenbar gut bei Kasse waren. Sie allerdings fehlten bei den kabarettreifen Proben, die in den Hutabteilungen vor etlichen Spiegeln gehalten werden. Da wird nach den seltsamsten „Pfiffern“ geangelt, ob aus lackierten Stroh, aus perlenbesticktem Tüll oder aus einem aparten Mischmasch von Federn und Seide. Drei-Hut-Hoch (wie ein bauchiger Baumkuchen) gingen sie weg – machten die „Renner“ und liegen daheim im Schrank wie die Badeanzüge, die von den Optimisten noch in Mengen gekauft wurden.

„Wir kommen an den Erfolg des vorigen Jahres unbedingt heran“, sagte gestern der Direktor eines großen Kaufhauses, das brechend voll war. Man glaubt‘s – und staunt über die Leute, denen das Geld so locker in der Tasche sitzt. Wo sie‘s nur her haben?

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