25. Mai 1968: Nachwuchsjournalisten tagen in Nürnberg

25.5.2018, 07:30 Uhr
25. Mai 1968: Nachwuchsjournalisten tagen in Nürnberg

© Ulrich

Der "homo sapiens" und der "Floh", das "Echo" und die "Pauke" sind nebst vielen anderen Blättern mit ausgefallenen Namen vertreten und wollen erneut gegen den Maulkorb Sturm laufen, den ihnen das bayerische Kultusministerium In den letzten Sommerferien umgehängt hat. Die mögliche Zensur der Schulleiter, hier und dort mehr oder weniger druckvoll ausgeübt,steht als größtes Ärgernis im Mittelpunkt der Jahreshauptversammlung.

Die Abgesandten der Schülerzeitungen und jugendeigenen Zeitschriften wollen ihre großen Vorbilder an Originalität nicht nur schwarz auf weiß, sondern auch auf dem Parkett übertreffen: heute abend tanzt der Kongreß in der Meistersingerhalle mit dem Ehrgeiz, dem Presseball nicht nachzustehen.

Als größtes Blatt nach Auflage (3.000) und Umfang (85 Seiten) in Mittelfranken hängt die jugendeigene Zeitschrift "Sorry" in einem Wald von 150 Exemplaren, der am Tagungsort Jugendzentrum aufgebaut ist und einen Querschnitt durch die Arbeit der Jugendpresse bietet. Dieses "Sorry" ist hervorgegangen aus der Klassenzeitung "Spiegelbild", die 1963 auf hektografierten Zettelchen am Willstätter-Gymnasium aus der Taufe gehoben worden war, und hat sich inzwischen zu einer großformatigen Ausgabe auf Hochglanzpapier gemausert, die alle Klippen der Zensur umschifft.

Die Chefredaktion mit einem Stab von 14 Schülern und Schülerinnen, zu denen sich noch ein Geschäftsleiter, ein Grafiker, mehrere Fotografen und textliche Mitarbeiter gesellen, kann sich jedem Zugriff eines Oberstudiendirektors entziehen, denn.sie hat einen Herausgeber (Lionel van der M.) über 21 Jahre gefunden, der nach den geltenden Gesetzen die Verantwortung für das Produkt tragen darf. Sie braucht sich nicht darüber zu ärgern, daß ein Hausmeister eine Klage beim Verwaltungsgericht androht,weil er - wie geschehen - in einem Artikel wegen fehlender Clo-Rollen „angeschossen“ wird; sie braucht nicht zu befürchten, daß der Oberstudiendirektor - wie ebenfalls schon vorgekommen - die Post für die Schülerzeitungen öffnet.

Viel Arbeit und Energie nötig

Die einzigen Sorgen muß sich die "Sorry"-Redaktion über die Eltern ihrer Mitarbeiter und die Finanzen machen. Das letzte Heft mit 85 Seiten ist in 30 Redaktionskonferenzen von durchschnittlich drei Stunden Dauer vorbereitet, in langen Nächten zusammengestellt und geschrieben worden. "Nach spätestens zwei Monaten haben wir Krawall zu Hause", sagt Chefredakteur Mathis O., "denn die Eltern gehen auf die Straße, weil wir zuviel Zeit dafür verwenden"!

Neben solchem zeitlichen Aufwand muß der Redaktionsstab aber auch noch finanzielle Opfer bringen. Ein Heft kostet in der Herstellung 1,50 DM, wird aber für nur 40 Pfennig verkauft. Das Defizit soll durch Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft getragen werden, aber sie reichen nicht aus, so daß jeder Mitarbeiter noch aus eigener Tasche zwischen 10 DM und 50 DM drauflegen muß.

Dennoch zieht "Sorry" die Nürnberger Schülerzeitungsredakteure an wie ein Fliegenfänger die Mücken. "Vielleicht gehe ich auch dazu", überlegt so mancher Schüler, der bisher treu und brav sein Blättchen gemacht, dem Vertrauenslehrer vorgelegt und hinterher möglicherweise noch gegen den Oberstudienrektor durchgesetzt hat.

Ihre Freiheit - sie erkaufen sie um den Preis, nicht in den Schulen, sondern nur davor das Blatt verkaufen zu dürfen - nützen die jungen Leute so aus, daß ihnen keine zensierte Konkurrenz zu folgen vermag. Sie berichten über die These eines schwedischen Chirurgen und Gynäkologen, daß sich der Gebrauch von Antibabypillen bei jungen Mädchen vorteilhaft auf die Schulleistungen auswirkt, ebenso wie sie vermelden, daß es "zu dem seither härtesten und unverständlichsten Polizeieinsatz in Nürnberg anläßlich einer Anti-Vietnam-Demonstration der außerparlamentarischen Opposition" gekommen ist.

Klage über passive Schüler

Das Mammutunternehmen "Sorry" das seinem Chefredakteur Mathis O. den spöttisch gemeinten Beinamen "Axel" (im Anklang an Axel Cäsar Springer) eingetragen hat, findet in Nürnberg so manches bescheidene Gegenstück in Schülerzeitungen wie etwa dem "Floh", der am Sigena-Gymnasium herumhüpft. Brigitte ist seine Chefredakteuse und seine einzige Schreibkraft in einer Person.

Mit nur sechs bis sieben Mitarbeitern bringt sie jährlich drei- bis viermal ein Blatt von 34 Seiten in einer Auflage von 800 bis 900 Exemplaren heraus. "Es muß einmal gesagt werden: die Schüler sind furchtbar passiv. Sie tun überhaupt nichts. Ich bekomme weder Leserbriefe noch Vorschläge", klagt Brigitte F.. Die Schülerin der 12. Klasse, die schon im letzten Jahr allein auf weiter Flur in langen Nächten die Manuskripte für das fototechnische Druckverfahren vorbereitet hatte, fürchtet um ihren "Floh", wenn sie in der Abiturklasse das Amt niederlegt. Dabei braucht ihr die Zensur kein Kopfzerbrechen zu bereiten, denn ihr Oberstudiendirektor "hat sich noch nie eingemischt", der Vertrauenslehrer die Informationen über die Schule und das Theater, Konzerte und Buchneuerscheinungen ohne Widerspruch genehmigt. Andere Chefredakteure mußten mit ihren Schülerzeitungen hingegen schlechte Erfahrungen machen.

"Egidia", das älteste Blatt am Platze, hat nach 15 Jahrgängen aus Protest gegen den Erlaß des Kultusministeriums sein Erscheinen eingestellt. Der "homo sapiens" am Hans-Sachs-Gymnasium konnte eine Nummer erst zum Druck bringen, als sein "Chef" eine Stunde lang mit dem Oberstudiendirektor über einen „harmlosen“ (so die Schüler) Artikel konferiert und gerauft hatte. Der Wortrichter am Scharrer-Gymasium soll sich - nach Angaben der "Presse der Jugend" - nach einem Skandal mit folgender Redaktionsablösung in ein braves Blatt verwandelt haben, das einer scharfen Vorzensur unterliegt. Manche Schülerzeitung stirbt aber auch ohne äußere Einwirkung, weil sich kein Nachwuchs für den Redaktionsstab findet.

Wer darf auf die Pauke hauen?

Der Vorsitzende der "Presse der Jugend" in Bayern, Christian Ude, meint freilich, die Zensurbestimmungen des Kultusministeriums seien die stärksten Bremsen für den journalistischen Impetus seiner Kollegen an 130 Zeitungen. Allein die Aussicht, Manuskripte den Direktoren und Lehrern vorlegen zu müssen, hindere die Redakteure der Schülerzeitungen daran, den einen oder anderen Seitenhieb in ihrem Blatt anzubringen. Er und seine Mitstreiter auf dem Kongress wollen daher mit allen gebotenen Mitteln zu Felde ziehen, um den Schülern das unveräußerliche Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit zurückzugewinnen. Was nützt schließlich eine "Pauke", wenn man nicht auf sie hauen darf?“

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