25. Oktober 1966: Eine Flugblatt-Lawine rollt an

25.10.2016, 07:00 Uhr
25. Oktober 1966: Eine Flugblatt-Lawine rollt an

© Gerardi

In den Parteibüros stapeln sich die Broschüren, mit denen die Parteien um die Gunst der Wähler für die Landtags- und Bezirkstagswahl am 20. November werben. Bis dahin werden fast eine Million Propagandahefte verschickt, eine Welle von Versammlungen rollt über die Stadt und mit großflächigen Plakaten gehen die Politiker auf Stimmenfang.

Noch ist nicht entschieden, ob neben der CSU, SPD, FDP und NPD sich eine fünfte Partei zur Wahl stellt: das Innenministerium in München muß morgen über die Beschwerde entscheiden, die von der Bayernpartei eingelegt worden ist, weil der Wahlausschuß bei der mittelfränkischen Regierung ihren Wahlvorschlag wegen eines Formfehlers abgelehnt hat.

"Bis jetzt sind 22 Versammlungen geplant", stöhnt Stadtrat Rolph Mader in der SPD-Zentrale im Karl-Bröger-Haus. Er räumt jedoch ein, daß es "leicht noch mehr werden können". Den Wahlkampf führt seine Partei in diesem Jahr unter dem Motto: "Ein Ziel für Nürnberg: in Bayern SPD". Prominentester Sprecher ist zweifellos Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin und 1. Vorsitzender der SPD. Am 14. November wird er in der Meistersingerhalle der Presse Rede und Antwort stehen und anschließend wird er an einem Empfang für die Spitzen der Wirtschaft, Verbände und Organisationen teilnehmen, bei dem auch die Landtagskandidaten vorgestellt werden.

25. Oktober 1966: Eine Flugblatt-Lawine rollt an

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Außerdem schickt die SPD ihren Landesvorsitzenden Volkmar Gabert, Waldemar von Knoeringen, Staatssekretär a. D. Karl Weishäupl, MdB Käte Strobel und Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter in den Wahlkampf. Ferner hat sie während der "Einkaufstasche" vom 29.10. bis 6.11. in der Messehalle einen eigenen Stand gemietet.

Politiker im Kreuzverhör

Die Hausfrauen haben an den neun Tagen Gelegenheit, "Politik aus erster Hand" zu erfahren: für einige Stunden werden dort Herbert Wehner, Wehrexperte Helmut Schmidt und Professor Carlo Schmid Fragen beantworten. Ansonsten können Landtags- und Bundestagsabgeordnete, zahlreiche Kandidaten, Bürgermeister und Landräte ins Kreuzverhör genommen werden. Die größte Wahlkundgebung bestreitet die SPD mit dem "Sieger von Rhein und Ruhr", Heinz Kühn, der am 10.11. in der Meistersingerhalle sprechen wird.

In den nächsten Tagen verschickt die Partei je 160.000 Faltblätter und Einladungen zu Versammlungen, 28.000 persönliche Schreiben an die Jungwähler und 80.000 Flugblätter an Arbeitnehmer. Auch ein Talisman wird verteilt: den bayerischen "Seppl" mit Federhut und Krachledernen, der mit dem SPD-Slogan bemalt ist. In 40.000-facher Ausfertigung liegt er parat. Rolph Mader, der die Auslagen größtenteils mit Wahlfondsmarken und aus Mitgliedsbeiträgen bestreitet, zeigt sich sehr optimistisch: "Die 50-Prozent-Grenze werden wir diesmal bestimmt überschreiten."

Die CSU wirbt in erster Linie mit Franz Josef Strauß und Regierungspräsident Alfons Goppel. "Wir halten grundsätzlich daran fest“, erläutert MdL Karl Schäfer in der Parteizentrale an der Dillherrstraße, "daß wir eine Großkundgebung mit Strauß veranstalten". Sie ist für den 15.11. terminiert. Bundeskanzler Erhard wird diesmal nicht sprechen.

Außerdem sind 70 bis 80 interne Versammlungen mit befreundeten Vereinen und Gruppen geplant. Mit Werbeschriften wird ebensowenig gespart. Die CSU-Wahlkampfzeitung mit "starker Nürnberger Beilage" geht an 150.000 Haushaltungen, die Kandidaten verschicken 80.000 Briefe und Drucksachen und an weit über 1000 Stellen in der Stadt werden Plakate aufgestellt oder angeklebt. "Wir führen unseren Wahlkampf wie immer sehr fair", verspricht Karl Schäfer. Er steht diesmal unter dem Motto: "Bayern modern – CSU".

FDP schlägt neuen Weg ein

"Wir werden Mühe haben, die Kosten aufzubringen", meint der Landtagsabgeordnete, "aber wir hoffen auf die Unterstützung unserer Freunde, die uns noch nie im Stich gelassen haben". Optimistisch beurteilt er die Chancen seiner Partei: "Wir haben uns kein utopisches Ziel gesetzt, aber die kontinuierliche Aufwärtsentwicklung der CSU wird sich fortsetzen."

Die FDP geht in diesem Wahlkampf neue Wege. Außer einer Großkundgebung mit Vizekanzler Erich Mende (14.11.) ist keine Versammlung vorgesehen. "Wir legen unser Schwergewicht auf die individuelle Beratung", erklärt Kreisgeschäftsführer Rudolf Kaiser. Die FDP-Kandidaten werden regelmäßig zu persönlichen Sprechstunden einladen und Hausbesuche unternehmen. Das ist der Ersatz für den Informations-Center, der an der Kostenfrage gescheitert ist.

"Ich kann mich vor Anfragen kaum retten", bekennt Rudolf Kaiser, "ich weiß bald nicht mehr, wo ich die Redner überall hernehmen soll, denn sie können auch nicht auf zwei Hochzeiten tanzen". Mit über 4.000 Plakaten wirbt die FDP an allen Ecken und Kanten um die Gunst der Wähler: "FDP in Bayern – nötiger denn je". 150.000 Prospekte, die in der nächsten Zeit in die Haushaltungen flattern, sollen diesen Ausspruch untermauern.

Spätestens bei der Kostenfrage wird der Kreisgeschäftsführer nachdenklich. "Das Märchen von der Kapitalistenpartei wäre zu schön, um wahr zu sein", sagt er mit kummervoller Miene. "Wir sind für jeden Schein dankbar, der uns gespendet wird." Die Opferbereitschaft der Mitglieder findet er bewunderungswürdig. Und die Chancen? "Sie stehen besser denn je. Wir werden mit mehr Abgeordneten in das Maximilianeum einziehen als vor vier Jahren."

Die NDP konzentriert ihren Wahlkampf auf die Gemeinden in Mittelfranken, wo über 700 Versammlungen geplant sind. "In der Stadt sind wir genügend bekannt, draußen ist das etwas anderes", motiviert Kreisvorsitzender Dr. Werner Wittich diesen Einsatz. In Nürnberg sind nur eine Großkundgebung mit Adolf von Thadden am 18.11., Hausbesuche der Kandidaten und einige Autokorsos vorgesehen. Geworben wird mit 150.000 Prospekten und 3.000 Plakaten. Zu den Aussichten seiner Partei sagt Dr. Wittich: "Wir machen uns selbst nichts vor. Es wird schwer fallen, die 10-Prozent-Hürde zu überspringen. Aber wir werden uns durchsetzen."

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