25. September 1968: Umjubelter Udo Jürgens

25.9.2018, 07:00 Uhr
25. September 1968: Umjubelter Udo Jürgens

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Zu Hunderten drängen sie an die Bühne, die Mädchen mit 17 Jahr' im blonden (brünetten oder schwarzen) Haar, ihre Mütter und sogar noch Großmütter. Zu Hunderten recken sie ihm ihre Hände entgegen. Zu Hunderten jubeln sie in einem Rausch der Begeisterung. "Schön war'n die Stunden, Cherie ..." Er sagt ihnen zum Abschied, was sie ihm sagen wollen – mit ihrem Beifall, mit ihren Bravorufen, mit ihren Blumen.

"Und immer, immer wieder geht die Sonne auf . . ." Die ersten Takte erklingen, im Scheinwerferkegel erscheint ein blasser, schmaler, junger Mann. Für seine Anhänger im ausverkauften Großen Saal der Meistersingerhalle geht die Sonne auf: Udo Jürgens singt seine Welterfolge. Eineinhalb Stunden lang hüpft und tanzt, singt und jauchzt er die Titel, die einen verzweifelten, schier hoffnungslosen Künstler an die Spitze im Schaugeschäft geführt, die aus dem bürgerlichen Udo Jürgen Bockelmann den internationalen Markenartikel "Udo" gemacht haben.

Der Liebling der Mädchen und der Musen mit der herben, hämmernden Stimme braucht nur den Mund zu öffnen, um sein Publikum zu verzücken. Für seine Freunde ist er der Größte, auch wenn er "0l' Man River" oder "Yesterday", die Schlager anderer, auf seine Art darbietet. Am meisten begeistert Udo Jürgens freilich, wenn er Udo Jürgens singt, wenn er – wie es ihm nachgerühmt wird – eine Stimme schwingen läßt, die "ich liebe dich" singen kann, ohne rot zu werden.

Das Geheimnis seines Erfolges? Der Mann mit dem gelegentlich bubenhaften, gelegentlich hart geschnittenen Gesicht, der in ein paar Tagen 34 Jahre alt wird, scheint all das mitzufühlen und mitzuleiden, wovon er in seinen Liedern spricht. "Ich glaube, diese Welt müßte groß genug, reich genug und weit genug für alle sein . . ." Ein Chanson? Eine Weltanschauung? Seine Anhänger nehmen es als einen Schlager wie "Der große Abschied von der Zeit" oder "Senorita".

Nach der Pause, der Star im schwarzen Smoking hat schon mehrfach die Kehle mit Tee geölt, zieht er die Schau seiner Evergreens ab: "Sag ihr, ich laß sie grüßen", "17 Jahr' blondes Haar" und so weiter und so weiter. Jedes Wort trifft wie ein gutgezielter Pfeil – mitten ins Herz der jungen, mittelalterlichen und (Pardon!) älteren Zuhörer. Udo Jürgens' Publikum in den vollen Häusern und in den Schallplattengeschäften sind nicht nur "Teenager", sondern auch Leute, die den "Großen Abschied" von der Kinder- und Jugendzeit bereits hinter sich haben.

Sie alle verhelfen ihm zum großen Geld. Und trotzdem muß er es sich selbst verdienen, im Schweiße seines Angesichts. Das Fliegengewicht von 68 Kilogramm bei 1,86 Meter Größe ist nach jedem Auftritt zwei Pfund leichter, braucht bei Halbzeit schon ein frisches Hemd. Wer ihn sich um das Mikrophon winden, wer ihn wie einen Ball über die Bühne springen sieht, wer ihn (bei einer Art Protestsong) aufschreien hört, daß den Gästen in den vorderen Reihen die Ohren dröhnen, braucht sich nicht zu wundern, daß für die Hinterbänkler in einem großen Saal nur ein Strich im Scheinwerferlicht erscheint.

Je näher der Abend sich dem Ende neigt, desto ekstatischer wird die Stimmung. Das Publikum klatscht mit, als sei es gar nicht wichtig, was Udo singt, und schließlich fällt es in den Refrain von "Mathilda" ein wie ein großer Chor. Und dennoch warten alle auf eins – auf "Merci Cherie". Der Star enttäuscht sie nicht, die Ordnersperren auf dem Weg zur Bühne durchbrochen haben, um Blumen abzugeben und Küßchen zu empfangen, die trotz ausdrücklichen strengen Verbots ständig aus den Sesselreihen ihre Blitzlichter in das Dunkel der Szenerie abschießen, die sich die Hände wund zu klatschen scheinen.

Udo Jürgens setzt sich an die Rampe, alle Lichter gehen an, er wandert durch die Gänge, er schüttelt die Hände der Zuhörer auf den teuren Plätzen in den ersten Reihen. Udo Jürgens läßt sein "Merci Cherie" erklingen – und sich selbst gefangen nehmen von der Anhängerschar, die er kaum noch abschütteln kann. Aber "Immer wieder geht die Sonne auf" – und Udo Jürgens verspricht, daß er einen von nur zwei freien Tagen auf einer langen, langen Tournee opfern will, um am 6. Oktober "wegen der großen Nachfrage" wieder in Nürnberg.zu sein.

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