26. April 1968: Schüler gestalten Sex-Unterricht

26.4.2018, 07:00 Uhr
26. April 1968: Schüler gestalten Sex-Unterricht

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Das Kulturreferat hat einen Fragebogen ausgearbeitet, den es 13- und 14jährigen Buben und Mädchen an einigen ausgewählten Gymnasien und Realschulen vorzulegen gedenkt. Freimütig wird auf drei Seiten danach geforscht, ob die Kinder aufgeklärt sind, wann und wie es geschehen ist, welche sexuellen Vorgänge sie am meisten interessieren, ob und wie die Schule einen Sexual-Unterricht betreiben soll.

Der Fragebogen muß heute erst vom Schul- und Kulturausschuß des Stadtrats gebilligt werden, ehe er an die Schüler herangetragen werden kann. "Sicherlich hast Du Dir schon Gedanken darüber gemacht, wie das menschliche Leben entsteht, wie ein Kind geboren wird, was wir unter Zeugung und Empfängnis verstehen. Wir möchten jetzt von Dir gern erfahren, wie Du über diese geschlechtlichen Dinge aufgeklärt worden bist, um Dir und anderen jungen Menschen helfen zu können."

Wertvolle Fingerzeige erhofft

Mit diesen Worten beginnt der Vorschlag der Verwaltung mit seinen 17 Fragekomplexen, die von den 13- und 14jährigen anonym beantwortet werden dürfen. Am Ende erkundigt sich das Referat lediglich danach, ob der Befragte männlich oder weiblich ist, welcher Klasse er angehört, in welche Schule er geht und wie alt er ist.

Schul- und Kulturreferent Dr. Hermann Glaser und seine Mitarbeiter, die sich von den Antworten der Buben und Mädchen wertvolle Fingerzeige für den Sexual-Unterricht erhoffen, nehmen es in ihrem Fragebogen sehr genau. Unter der Rubrik "Wer hat Dich sexuell aufgeklärt?" finden sich beispielsweise 24 Kästchen, die angekreuzt werden können. Die Auswahl reicht von Schulkamerad und Schulkameradin, Freund, Freundin, Bekannter, Bekannte, Pfarrer, Arzt über Vater, Mutter, Bruder, Schwester und sonstiger Verwandter bis zu Illustrierte/Zeitschriften, Aufklärungsfilme, Spielfilme, Aufklärungsbücher, Witze, Anspielungen. Am Ende dieser langen Liste steht als letzte aller Möglichkeiten offen: "Ich habe noch nichts erfahren."

Die Kinder sollen sagen, in welchem Alter sie das erste Mal etwas über geschlechtliche Vorgänge erfahren haben, sie sollen ihre Ansicht äußern, ob das zu früh zu spät oder rechtzeitig gewesen ist, sie sollen darstellen, wie dieses Gespräch geführt worden ist ("Anschaulich, unverständlich, zu kindlich, mit Einfühlungsvermögen, aufdringlich, zu theoretisch") oder sollen entscheiden, wer sie nach ihrer Meinung hätte besser aufklären können. Die Frage, an wen sie sich wenden können, wenn sie sexuelle Probleme haben, fehlt in dem Katalog ebenso wenig wie die Frage, ob sich der oder die Betreffende mit seinen oder ihren Freunden, mit seinen oder ihren Freundinnen "oft, manchmal oder nie" über sexuelle Probleme unterhält.

Ein besonderes Kapitel drängt nach Erkenntnissen, wie sich die jungen Menschen einen Unterricht über geschlechtliche Vorgänge denken könnten. Da wird ein ganzer Fächer von Fächern für einen Sexual-Unterricht ausgebreitet: Religion, Deutsch, Fremdsprachen, Biologie, Erdkunde/Geschichte, Mathematik/Physik, Sport/Musik. Die Antwort "das Fach spielt keine Rolle" steht ebenso offen wie "ich kann das nicht beurteilen".

Die Schüler dürfen sich sogar den Lehrer aussuchen, der ihnen für die Aufklärung besonders geeignet scheint. Bis zu drei Kreuzen können sie in die Kästchen setzen, vor denen zu lesen ist: "Soll noch jung sein, gute Kenntnisse in Biologie und Medizin, muß das Vertrauen der Klasse besitzen, soll verheiratet sein, sollte die Schüler gut kennen, soll eigene Kinder haben, muß ein gutes Familienleben führen, sollte älter sein, muß Autorität und Respekt genießen, soll einen weltanschaulich klaren Standpunkt haben." Die Fragen schließen nicht einmal aus, daß die Schüler unter zehn ihrer Lehrer die Pädagogen bezeichnen, die das Fach Sexual-Kunde erteilen könnten.

Viele Formen des Unterrichtsstoff

Der Rat der Buben und Mädchen kommt dem Schul- und Kuturreferat selbst da gelegen, wo es um die spezielle Form eines aufklärenden Unterrichts geht. Vom Vortrag über Lichtbilder und Filme bis zu Schallplatten reicht das Angebot, aus dem die Befragten wählen können. Am Ende dürfen sie sich selbst noch wünschen, in welchen Punkten (Geschlechtsorgane, Zeugung und Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt, Abtreibung, Keuschheit, Frühehen, Homosexualität, Liebe und Freundschaft, moralisches/amoralisches Verhalten) ihnen ausführliche Erklärungen im Unterricht nötig erscheinen. Ob dieser Fragebogen in der vorgelegten Form den Stadtrat passiert, muß sich heute früh erweisen.

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