26. August 1966: Pfennig mit den Füßen getreten

26.8.2016, 07:00 Uhr
Sie finden es noch der Mühe wert, sich nach einem Pfennig zu bücken: die Frau und der Mann in der Königstraße, der Junge vor einem Bankgeschäft am Lorenzer Platz. Doch sie stellen in der Schar der Leute, die solche Münzen nicht "ehren" nur eine Ausnahme dar.

© Ulrich Sie finden es noch der Mühe wert, sich nach einem Pfennig zu bücken: die Frau und der Mann in der Königstraße, der Junge vor einem Bankgeschäft am Lorenzer Platz. Doch sie stellen in der Schar der Leute, die solche Münzen nicht "ehren" nur eine Ausnahme dar.

Diese Erfahrung haben wir bei einem kleinen Experiment mitten in der Stadt gesammelt: es dauerte eineinhalb Stunden, bis sechs "verlorene“ Pfennige einen Besitzer gefunden hatten. Wir wollten einmal wissen, ob der Wohlstand die Leute gegenüber der kleinsten deutschen Münze blind gemacht hat: der erste Pfennig liegt mitten auf dem Gehsteig in der Karolinenstraße. Viele alte und noch mehr junge Bürger sehen ihn auch, aber ihr Blick wandert schnell weiter zu den Kostbarkeiten in den Schaufenstern, die zu kaufen eben viele Pfennige nötig sind.

Wenig Glück haben wir zunächst auch in der Königstraße. Funkelnd liegt ein nagelneuer Pfennig am Fußgängerüberweg beim Tugendbrunnen auf dem Präsentierteller. Aber erst als die Ampel fünfmal von Rot auf Grün geschaltet hat, bückt sich ein älterer Herr. Es ist der 69jährige Werkmeister Hans A. aus Nürnberg. Auf die Frage, warum er den Pfennig aufgehoben habe, zitiert er: "Wer den Pfennig nicht ehrt ..." Spontan pflichtet ihm eine Frau bei: "Jawohl, so ist es! Das wäre ja noch schöner, einen Pfennig liegen zu lassen!"

Achtlos hasten die Passanten am Pfennig vorbei. Für sie ist Zeit anscheinend mehr Geld.

Achtlos hasten die Passanten am Pfennig vorbei. Für sie ist Zeit anscheinend mehr Geld. © Ulrich

Eine weitere Münze wartet auf ihren Finder. Wieder schaltet die Ampel mehrere Male um. Zugegeben: die Hast des Alltags macht viele für das blind, was zu ihren Füßen auf der Straße liegt. Zahlreiche Frauen, Männer und Kinder erfassen den Pfennig freilich mit ihrem Blick, sie schauen jedoch sofort wieder weg. Anscheinend liegt es unter ihrer Würde, wegen eines so geringen Wertes in die Knie zu gehen. Der 71jährige Rentner Richard M. macht dann doch seinen Rücken krumm. "Ich hebe jeden Pfennig auf, denn es ist ja schließlich Geld“, versichert er.

Dasselbe sagt auch der 48jährige Automechaniker Ludwig Sch. Bis er den Pfennig aufhebt, liegt dieser allerdings 17 Minuten auf dem Bordstein. Wäre die Münze nicht aus Metall, könnte sie selbst erzählen, wie sehr sie in dieser Zeit getreten und geschunden worden ist. Ein Herr mittleren Alters erinnert sich offenbar daran, daß er früher einmal in irgendeinem Fußballverein das Leder kickte und stieß den Pfennig auf den Zebrastreifen.

Das nächste Geldstück, ist dagegen nur ganze 28 Sekunden "ausgesetzt“, um dann in das Portemonnaie der 60jährigen Elisabeth von St. zu wandern. "Einen so schönen Pfennig muß man doch aufheben“, erklärt sie. Die Frage, ob sie sich auch dann gebückt hätte, wenn die Münze weniger gefunkelt hätte, beantwortet sie nach kurzem Zögern: "Auch dann!“

Symbol des Glücks

Schließlich stellen wir die Leute noch vor einem Bankgebäude am Lorenzer Platz auf die Probe. Minute reiht sich an Minute, viele Leute betreten das Haus und verlassen es wieder. Die den Pfennig sehen, interessiert er nicht. Was ist schon der hundertste Teil einer Mark, wenn man eine mit Scheinen vollgepfropfte Brieftasche einstecken hat! Der 58jährige kaufmännische Angestellte Friedrich B. denkt anders darüber. Wie die Frau in der Königstraße meint er: "Das wäre ja noch schöner, wenn man Geld auf der Straße liegen ließe.“ Schmunzelnd fügt er hinzu: "Ich jedenfalls bücke mich immer.“

Als wir das Experiment schon abbrechen wollen, erleben wir noch eine angenehme Überraschung. Ein Junge, der 16jährige Thomas L., kommt mit seinem Hund aus dem Bankgeschäft heraus. Die Münze erspähen und sie aufheben ist eins. Freudestrahlend zeigt er sie seiner Mutter. "Natürlich bücke ich mich danach. Es ist doch ein Glückspfennig“, verkündet er.

Wir aber singen das Hohelied auf die Sechs, die den Pfennig noch in Ehren halten. Daß er für sie ein Wertbegriff ist, zeigten sie, als sie uns die Münze sofort zurückgeben wollten. Sie durften sie natürlich behalten. Vielleicht ist es doch ein Glückspfennig, wie der Volksmund früher einmal eine gefundene Münze taufte…

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