27. März 1965: Ein Staatsbesuch mit Löwen und Lebkuchen

26.3.2015, 07:00 Uhr
27. März 1965: Ein Staatsbesuch mit Löwen und Lebkuchen

© Gerardi

Während Einar Gerhardsen auf seiner Reise durch die Bundesrepublik sonst nur in Hauptstädte kommt, wollte er in Bayern gerade die fränkische Metropole sehen, um alte Erinnerungen aufzufrischen und neue Eindrücke zu sammeln. Seine Gastgeber, der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Dr. Dr. Hundhammer und Oberbürgermeister Dr. Urschlechter bemühten sich, dem Regierungschef aus Norwegen und seiner Gattin den fünfeinhalbstündigen Aufenthalt so angenehm wie nur möglich zu machen. 

Einar Gerhardsen und sein Gefolge erlebten den ganzen Glanz eines Staatsbesuches, angefangen beim „großen Bahnhof“ auf dem Flughafen bis zu den Fahnen ihres Heimatlandes, die selbst noch von der Burg grüßten. Punkt zehn Uhr peitschten die Propeller einer Bundeswehr-Maschine vom Typ Convair-Metropolitan den Regen über das Rollfeld, als sie mit den hohen Gästen vor die Halle rollte.

Unter dem schützenden Vordach erwarteten Staatsminister Dr. Hundhammer, Oberbürgermeister Dr. Urschlechter (beide mit Gattinnen) und Dr. Freiherr von Brand, der Protokollchef der Staatsregierung, den Besuch „ihrer Exzellenzen“. Es gab gelbe Rosen mit weiß-blauen Schleifen und rot-weiße Nelken für Frau Gerhardsen und Frau Grete Koht, die Gemahlin des norwegischen Botschafters in Bonn, unter den Herren aber hob allgemeines Händeschütteln an.

Dreizehn blankgewienerte Wagen standen auf dem Rollfeld bereit, um die Gäste – unter ihnen auch der deutsche Botschafter in Oslo, Dr. Böx – zum Rathaus zu bringen. Die schwarze Limousine von Dr. Hundhammer, in der Ministerpräsident Gerhardsen fuhr, war geschmückt von Standern mit den Farben Norwegens und den Wappen Bayerns; sie wurde umschwärmt von sechs „weißen Mäusen“, die protokollgerecht natürlich Ehreneskorte heißen. Als diese Karawane auf leeren Straßen ungehindert zum Stadtinneren rollte, meinte einer im Gefolge: „Da gewinnt man den Glauben an die Grüne Welle wieder!“

Im Rathaus grüßten an allen Treppen und Eingängen Polizeibeamte mit leuchtend-weißen Hemdkragen die Besucher. Der Oberbürgermeister durfte dort den Willkomm der Stadt und ihrer Bürger aussprechen und seinen norwegischen Parteifreund mit dem „ältesten deutschen und europäischen Kulturboden“ vertraut machen, auf dem er nun stand.

Aber Dr. Urschlechter brauchte seine Stadt nicht selbst zu rühmen, das tat schon in tadellosem Deutsch Einar Gerhardsen mit einer Strophe von Max von Schenkendorf, die da lautet: „Wenn einer Deutschland lieben und Deutschland kennen soll, wird man ihm Nürnberg nennen, der edlen Künste voll.“

Erinnerungen wurden wach

Der hagere 68jährige Ministerpräsident, der auf seiner Hochzeitsreise im Jahre 1923 Nürnberg besucht hat, erklärte diese Lobeshymne mit seiner eigenen Erfahrung: „Die Stadt hat einen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich jetzt darum bat, wieder hierher kommen zu dürfen.“ Er freue sich darüber, daß die doppelte Aufgabe gelöst worden sei, eine moderne Industriestadt zu errichten, aber auch das wieder herzustellen, was Nürnberg von alters her besonders geprägt hat: Für solches Lob zeigten sich die Nürnberger dankbar.

Als erster ausländischer Regierungschef nach dem Kriege durfte sich Einar Gerhardsen in das Goldene Buch der Stadt eintragen, in dem schon manche große Namen verewigt sind. „Damit wollen wir für die Gegenwart und Zukunft zeigen, wie sympathisch der Ministerpräsident Norwegens sich Nürnberg gegenüber gezeigt hat“, sagte der Oberbürgermeister. Als Gastgeschenke überreichte er Bücher über die Stadt und die Meistersingerhalle, für die „Gnädige Frau“ einen Kasten mit Lebkuchen als süßen Gruß.

27. März 1965: Ein Staatsbesuch mit Löwen und Lebkuchen

© Gerardi

Einen Blick auf das Nürnberg von heute und morgen konnte der hohe Gast in der Halle des Wolff´schen Rathauses tun, wo ihm Baureferent Heinz Schmeißner den Weg aus den Trümmern schilderte. „Bis 1970 hoffen wir, mit dem Schiff nach Oslo fahren zu können“, meinte Schmeißner, als er Zukunftsprojekte wie den Rhein-Main-Donau-Kanal oder die Schnellstraße erläuterte. Obwohl darauf Gerhardsen, Hundhammer und der Oberbürgermeister bescheiden im Omnibus zu einer kleinen Rundreise starteten, erregten sie – wie so oft an diesem Tag – Aufg´schau bei den Leuten.

Die Nürnberger stellten dabei ihr Licht nicht unter den Scheffel und zeigten, was sie zu bieten haben: bei einem Bummel im Regen von der Burgfreiung zum Vestnertor ihre alten, trutzigen Mauern, das größte Krankenhaus in Deutschland und Europa („ohne Lokalpatriotismus“ betonte Sozialreferent Dr. Max Thoma) und die Meistersingerhalle, von der die Bonner entzückt sagten: „So schön ist unsere Beethovenhalle nicht.“ Daß für Staatsbesuche nicht nur im Verkehr Ausnahmen gemacht werden, erwies sich im Y-Bau der Krankenanstalten, als die Gäste einen Operationssaal betreten durften, obwohl auf beiden Seiten daneben operiert wurde.

Soziales stand im Mittelpunkt

Dem norwegischen Ministerpräsidenten, der sich besonders für soziale und kulturelle Einrichtungen interessierte, wurden nicht allein Freuden fürs Auge, sondern auch für den Gaumen geboten. Bei einem Blick über die Dächer der Stadt vom Hochhaus am Plärrer bekam er Bratwürste, Bier und Brezen vorgesetzt. Im Heilig-Geist-Spital beim Frühstück, wie ein Mittagessen im diplomatischen Sprachgebrauch genannt wird, erfüllte sich ein anderer Wunsch, den ihm der Bundeskanzler eingegeben hatte. Professor Erhard muß so begeistert von Karpfen als einer Spezialität seiner Heimat geschwärmt haben, daß Gerhardsen sie unbedingt kosten wollte. Er bekam ein stattliches Exemplar aus Aischgründen gebacken serviert.

Der norwegische Ministerpräsident betonte, Bayern sei das Land in der Bundesrepublik, das ihn am meisten an seine Heimat erinnert. Wenn die Behauptung zuträfe, daß die Natur den Menschen prägt, müßten wohl ein Bayer und ein Norweger gewisse gemeinsame Eigenschaften aufweisen können. Gerhardsen schilderte seine Landsleute als etwas eigensinnig und manchmal etwas schwerfällig. Er leitete damit eine entzückende Anspielung auf den alten Streite zwischen Bayern und Preußen ein, indem er sagte: „Sollte man den Deutschen glauben, die etwas weiter nördlich in der Bundesrepublik aufgewachsen sind, so ist diese Charakteristik nicht unbekannt, was die Bayern betrifft.“ In einer Welt mit einer ausgeprägten Tendenz zur Uniformität könne jedoch etwas Eigensinn nicht schaden.

Wie immer an diesem Tag ließ das Protokoll keine langen Reden zu, denn der Zeitplan mußte streng eingehalten werden. Nach einer knappen Mittagsrast ging daher die Fahrt rasch noch zum Germanischen Nationalmuseum, das in 20 Minuten nur die schönsten seiner Schätze zeigen konnte. Die Frauen hatten sich um den Museumsbesuch ohnehin herumgedrückt, weil sie gerne in einem Spielzeugladen einkaufen wollten. Die Gattin des Ministerpräsidenten kam von diesem Ausflug hochbepackt und beglückt zurück; ihre fünf Enkel werden sich freuen dürfen. Selig sagte sie: „Ich habe in Nürnberg das schönste Spielwarengeschäft auf der ganzen Welt gesehen!“

Die fünfeinhalb Stunden waren rasch verflogen. Der Reigen schloß sich auch äußerlich, denn bei der Fahrt zum Flughafen goß es wie beim Empfang in Strömen. Und wieder wurde das Wasser über das Rollfeld gejagt, als die Bundeswehrmaschine zum Flug nach Stuttgart abhob. Dr. Hundhammer und Dr. Urschlechter winkten Gerhardsen lange nach – Einar Gerhardsen, einem Freund der Stadt Nürnberg.

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