28. August 1966: Das Abenteuer zum Ararat

28.8.2016, 07:00 Uhr
28. August 1966: Das Abenteuer zum Ararat

© Biller

Das bekannte Kletterer-Ehepaar aus Nürnberg: Harald bezwang 1955 den 7.525 Meter hohen Annapurna IV und 1963 in Nepal zwei Sechstausender – wurde auf dem Weg zum schneebedeckten Gipfel des Ararat von einem Österreicher und einem Engländer begleitet, die es zufällig am Fuß des Berges getroffen hatte.

In diesem Bericht schildert Harald Biller, der die Besteigung des 6.000 Meter hohen Mörsamir im Hindukusch zu seinen Glanztaten zählt, seine Erlebnisse und Eindrücke auf der Reise in die Türkei und während der Bergfahrt: Es ist heutzutage kein Problem mehr, nach Istanbul zu fahren. Genau 48 Stunden nach unserem Aufbruch in Nürnberg steuerten wir durch das Menschen- und Autogewühl der Stadt am Bosporus. Wir, das waren meine Frau Bobby, unser randvoll beladener VW und ich. Das Ziel, das uns unermüdlich hinter dem Steuer sitzen ließ, war der Ararat; mit 5.156 Metern der höchste Berg der Türkei und – weil an der russisch-persischen Grenze gelegen – bis vor einigen Monaten noch militärisches Sperrgebiet.

Das Abenteuer aber begann 120 Kilometer hinter Ankara, wo die Teerstraße zu Ende ist und die letzten europäischen Touristen nach dem Süden zur Küste abgebogen sind. Zum Übernachten gibt es dort keine Campingplätze mehr und keine Motels, sondern nur noch die Steppe mit ihren wenigen, aber um so leuchtenderen Blumen und dem Zauber der Vollmondnacht. So fahren wir noch einmal knapp drei Tage. Hin und wieder kommen wir an einem Dorf mit Lehmhütten oder – noch seltener – an einer kleinen Stadt vorbei, bewohnt von liebenswürdigen und gastfreundlichen Menschen.

28. August 1966: Das Abenteuer zum Ararat

© Biller

Noch 60 Kilometer bis zum Ziel, da tritt aus dichten Haufenwolken der Ararat hervor. Das schmale Sträßchen hatten wir kurz vor dem persischen Schlagbaum verlassen und holpern im Schrittempo über die Steppe, Gräben und Felsbrocken umfahrend, die als neckische Überraschungen in der scheinbar brettebenen Weite versteckt sind. Dann tauchen Lehmhütten auf: das Dorf Ganikor, die letzte Ansiedlung vor dem Ararat.

Von wilden Gestalten, deren Gebaren aber durchaus freundlich ist, werden wir umringt und stellen unser Gepäck für den Berg zusammen. Trotz unserer wenigen türkischen Brocken hatte man bald begriffen, was wir wollten. Wir brauchten ein Tragtier, um die Ausrüstung hinauf zur Schneegrenze zu schaffen. Offensichtlich sind die Kurden anders geartet als Afghanen und Nepalesen. Denn kaum sind unsere Rucksäcke gepackt, steht auch ein Pferd bereit.

Nach einer Woche: Der steinige Weg zum Ararat

Wir aber können es kaum glauben. Es ist Donnerstag gegen 17 Uhr. Vor genau einer Woche hatten wir Nürnberg verlassen. Und jetzt sind wir, zusammen mit Mahmut, dem Pferdetreiber, dem Pferd und einem Hund unterwegs zum Ararat. Während wir über die Steppe wandern, wird es allmählich dunkel. Nur der Gipfelgrat unseres Berges steht noch im Licht. Irgendwo singt ein Hirte sein eintöniges Lied. Erinnerungen tauchen auf, Hindukusch, Himalaja. Hier wie dort die uralten Stämme Asiens, der Zauber, der uns diesen Kontinent zur zweiten Heimat werden ließ. In rabenschwarzer Nacht geht es bergan. Hinein in ein Bachbett und wieder heraus, über Felsblöcke und durch Dorngestrüpp. Das Pferd strauchelt, verliert seine Last und mit der Taschenlampe suchen wir Nudeln und Steigeisen, Beutelsuppen und Sonnencreme wieder zusammen.

28. August 1966: Das Abenteuer zum Ararat

© Biller

Vor zehn Stunden haben wir das letzte Mahl eingenommen. Langsam kann uns der ganze Ararat gestohlen bleiben. Doch dann – es ist inzwischen 22 Uhr geworden – sitzen wir endlich in Mahmuts Zelt, das aus schwarzbrauner Ziegenwolle selbst gesponnen ist. Wir trinken Tee, essen Fladenbrot und Ziegenkäse und empfinden trotz unserer Müdigkeit die Einmaligkeit der Stunde. Am anderen Tag sind wir wieder unterwegs. Vergessen ist die bittere Mühe des Aufstiegs am Vortag, denn mit jedem Schritt wird der Berg beherrschender, formvollendeter. Was wir unten schon geahnt haben, erweist sich als richtig. Der Ararat ist einer der schönsten Berge, die wir je gesehen haben. Noch einmal rasten wir, dann ist die Schneegrenze nahegerückt. Wir sind im Lager 1 auf 3.200 Meter Höhe.

Den Rest des Tages verbringen wir mit einem Erkundungsgang, stellen das Zelt auf und packen die Rucksäcke für morgen. Wir wissen, dass der Ararat kein schwieriger Berg sein wird. Aber wir wissen ebensogut, dass wir 2000 Meter Höhenunterschied überwinden müssen. Gegen Abend kommen ein Österreicher und ein Engländer zum Lager herauf. Wir finden uns gegenseitig offenbar recht sympathisch, denn wir beschließen, gemeinsam weiterzugehen.

Der Gipfel des Ararat: Das Wetter macht Probleme

Um zwei Uhr wollen wir aufbrechen. Aber das Wetter hat sich inzwischen verschlechtert. Es regnet. Um drei Uhr stehen jedoch wieder die Sterne am Himmel und der Gipfel ist frei von Wolken. Eine halbe Stunde darauf sind wir schon unterwegs. Als wir die Schneegrenze erreichen, geht gerade die Sonne auf. Der Ararat aber ist für uns in diesem Augenblick der schönste und lockendste Berg der Welt.

Wir ziehen die Steigeisen an und klettern langsam und stetig höher. Wenn es irgendwie geht, benutzen wir die Firnfelder, um weiterzukommen. Denn die Felsrippen aus schwarzglänzenden, vulkanischen Blöcken sind allzu mühselig und kraftraubend zu begehen. Stunde um Stunde steigen wir dahin. Nur kurz sind die Pausen, weil das gute Wetter nicht mehr lange zu halten scheint. Immer wieder schauen wir auf den Höhenmesser: 4.500, 4.700, 4.800 Meter. Unsere Gruppe erreicht ein markantes Köpfl und da – schaut hinauf! – sehen wir den Gipfel.

Von jetzt an werden die Stufen nicht mehr gezählt, wird nicht mehr an die Endlosigkeit der Rinnen und Rippen geglaubt. Das Ziel ist greifbar nahe. Langsam kommen wir an den Gipfelgrat und damit die 5.000-Meter-Grenze. In immer kürzeren Abständen bleiben wir keuchend stehen, weil jeder von uns in irgendeiner Form Höhenbeschwerden hat.

Endlich der Grat! Eine Firnschneide, die geradewegs in den blauen Himmel zu führen scheint. Wolken ziehen darüber hinweg und wenn sie den Blick hinunter freigeben, sehen wir eine Landschaft, die in ihrer grenzenlosen Öde und Einsamkeit an die Hochflächen des nördlichen Himalajas erinnert. Von jeder Graterhebung glauben wir, daß es der Gipfel sein müsse. Doch dann ist es geschafft. Wir stehen auf dem Ararat, minutenlang in brodelnden Wolken, minutenlang im Sonnenschein.

Das Wetter wird jedoch zusehends schlechter, sodass wir uns nach dem achtstündigen Aufstieg gleich wieder an den Abstieg machen. Gelegentlich schneit es. Nebel kommt auf. Wir haben Mühe, uns in dem unübersichtlichen Gelände zurechtzufinden. Doch der maisgelbe Punkt des Zeltes wird langsam größer. Mahmut und einige Hirten kommen uns entgegen und strecken die Hände aus: Marhaba, hoschgeldin – Seid willkommen!

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