30. April 1966: Die Gleise bleiben frei

30.4.2016, 07:00 Uhr
30. April 1966: Die Gleise bleiben frei

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Mit der Straßenbahn sind Zehntausende von Fahrgästen für dieses beispielhafte Verhalten im Verkehr dankbar, weil sie nicht mehr uneingeschränkt das Gefühl zu haben brauchen, dass von Jahr zu Jahr mehr Zeit auf dem Weg zum Arbeitsplatz und wieder nach Hause verloren geht, dass die Verspätungen der Züge und damit die Wartezeiten an den Haltestellen ins Uferlose wachsen. Es hat sich erfreulicherweise manches auf den Straßen zum Guten gewandelt. Der Aufruf an alle Kraftfahrer guten Willens, die Gleise freizuhalten, hat ein positives Echo gefunden. Immer mehr Kraftfahrer sehen es ein, dass nicht ein einzelner in seinem Wagen Hunderte in einem Straßenbahnzug aufhalten darf.

So war es noch im Frühjahr 1965: Am Frauentorgraben beim Opernhaus (Linksabbieger zum Kartäusertor) und beim Kulturverein (Linksabbieger zur Zeltnerstraße) lieferten Tag für Tag viele Autofahrer wenige rühmenswerte Beispiele dafür, daß sie allein es in der Hand haben, den Fahrplan der Straßenbahn zu bestimmen. Obwohl dort die Fahrbahn breit genug ist (drei Wagen haben nebeneinander Platz), um sich einordnen zu können, stellten sie sich auf die Gleise und ließen die Straßenbahn warten, warten, warten.

30. April 1966: Die Gleise bleiben frei

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In der Nürnberger Altstadt (König- und Karolinenstraße) machte oft genug ein einziger Wagen der Straßenbahn das Leben sauer, weil er sich neben die Schlange der übrigen Fahrzeuge auf die Schiene stellte: um des geringen Vorteils willen, ein paar Meter gewonnen zu haben, versperrte er den Zügen den Weg zur nächsten Haltestelle oder Ampel. Oft kam die Straßenbahn gerade in der „City“ nur im Schritt-Tempo voran. Nicht viel besser erging es ihr in den vielen Tunnels, in denen Fahrbahn und Schienen nicht deutlich und unüberwindbar voneinander getrennt sind. So war es noch vor einem Jahr.

Lage bessert sich

Heute ist es glücklicherweise anders, besser und angenehmer für alle. Am Frauentorgraben beim Opernhaus (Linksabbieger zum Kartäusertor) reicht das Beispiel eines Wagens aus, um eine ganze Fahrzeugschlange auf den richtigen Weg zu bringen. Wenn sich dieser eine rechts neben den Gleisen hält und die Straßenbahn vorbeifahren läßt, folgen ihm auch die anderen. Und so geschieht es immer wieder. Das Einordnen nach links ist hier um so leichter möglich, als der Geradeausverkehr nicht behindert wird, weil ihm zwei volle Fahrspuren bleiben. Am Kulturverein haben es sich viele Kraftfahrer ebenfalls angewöhnt, der Straßenbahn den Vortritt zu lassen. Ein Blick in den Rückspiegel zur Haltestelle zeigt dem rücksichtsvollen Mann am Steuer rasch an, ob ein Zug kommt und er kurz innehalten muß.

Besonders erfreuliche Formen hat jedoch die „Koexistenz“ von Individual- und Massenverkehr in den Hauptgeschäftsstraßen der Altstadt angenommen. Immer seltener tanzen hier Wagen aus der Reihe und blockieren den Schienenstrang. Die Nägel auf der Fahrbahn werden als klare Trennungs- und Grenzlinie zwischen Autos und Straßenbahnen häufiger respektiert, als selbst Optimisten anzunehmen gewagt hätten. Das gleiche läßt sich von den Tunnels sagen, in denen beide Verkehrsarten auf diese Weise getrennt sind.

Keine "grüne Welle"

Das Verständnis der Autofahrer für die Straßenbahn ist gewachsen. Es kann aber noch besser werden. Die Straßenbahn verdient noch mehr Rücksicht, weil sie es ohnehin schwerer hat als andere Verkehrsteilnehmer. Sie kennt den Vorteil einer "grünen Welle" nicht, denn oft genug muß sie bei Grünlicht an der Ampel ihre Fahrgäste aus- und einsteigen lassen, um erst bei Rot wieder abfahrbereit zu sein. Sie kann nicht ausweichen, weil ihr der Weg vorgezeichnet ist. Sie hat einen Fahrplan einzuhalten, nach dem sich Tausende und aber Tausende von Menschen richten.

Lange Verspätungen führen zu unangenehmen Folgen für das Straßenbahnpersonal und die Fahrgäste. Anschlüsse werden nicht erreicht, Züge müssen vorzeitig wenden, sie sind zu langsam, es ist in ihnen unbequem, weil sie überfüllt sind. Wen nimmt es wunder, wenn da die Fahrgäste mürrisch werden? Die städtischen Verkehrsbetriebe verstehen es sehr gut, daß immer häufiger Kritik an der Straßenbahn laut wird, aber sie trägt keine Schuld an den Zuständen auf den Straßen. Die VAG ist auf die Rücksicht der Autofahrer angewiesen. Wie gesagt: einer kann Hunderte aufhalten.

Die mittlere Reisegeschwindigkeit ist daher planmäßig um mehr als zwei Kilometer auf 16 Kilometer in der Stunde gesunken. Tatsächlich werden aber nur 14 und weniger Stundenkilometer erreicht. Das macht allein in einem Jahr vier Millionen Mark aus. Die planmäßige Fahrzeit der "kranken Linien“ (vor allem der 21) ist – gemessen an den Vorkriegsjahren – zweimal verlängert worden. Zwölf Züge mehr sind auf den Strecken unterwegs, um die abgesunkene Verkehrsleistung auszugleichen. Bei der gleichen Zahl von Fahrgästen verkehren heute elf statt früher neun Züge.

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