30. Juni 1965: Kaum einen Pfifferling wert . . .

30.6.2015, 07:00 Uhr
30. Juni 1965: Kaum einen Pfifferling wert . . .

Rund 10.000 Nürnberger Pilzsammler ignorieren diese ungeschriebenen Gesetze der Ruhe und der Einsamkeit, wenn sie mit dem Auto an schönen Sommertagen die Waldränder bevölkern und in hellen Scharren durch das Dickicht streifen und wenn sie nach stundenlangem Fußmarsch wohlig-müde vespern. Es geht diesen Waldläufern weniger um den sichtbaren Erfolg des Suchens, sondern vielmehr um den gesundheitlichen Wert ihres Tuns.

Die passionierten Pilzsucher, vielfach Mitglieder der Naturhistorischen Gesellschaft oder gar Leiter von Pilzberatungsstellen sehen in diesem Wandern eine Bestätigung ihres einstmals einsamen Hobbies: der Wald ist wieder zum Gesundbrunnen vieler geworden. Die wenigen Zünftigen, die schon morgens um 4 Uhr oder um 5 Uhr mit dem Holzkörbchen in der Hand und dem Brotzeit-Beutel auf dem Rücken durch die taunassen, abseits gelegenen Waldstreifen ziehen, sind den „Sonntagssammlern“ nicht böse. Diese kommen den „alten Füchsen“ nicht ins Gehege, weil die guten Pilzgegenden nur wenige kennen. Und deshalb treffen sich dort lediglich „eingefleischte Schwammerljäger“, wie sie sich selbst nennen.

In diesem Jahr sieht es mit den „Pfiffern“ nicht besonders gut aus, wissen die Pilzberater zu berichten. Trotz der intensiven Bodenfeuchtigkeit und der plötzlichen Hitzeperiode entdeckt der Pilzsucher nicht viele verschiedenfarbige Hütchen zwischen Moos und Schwarzbeersträuchern. Die Preise der Steinpilze auf dem Wochenmarkt sind deshalb dementsprechend gestiegen. Rund vier Mark kostet das Pfund. In ausgesprochenen Pilzjahren, wie etwa 1963, verlangen die Marktfrauen nicht mehr als 1,50 DM bis 2 DM. Sind die Pilze so viel wert?

Aufbruch im Morgengrauen

Drei Stunden lang mußten wir uns davon überzeugen. Wir gingen mit dem Pilzberater Fritz Haustein durch die Wälder zwischen Stein und Schwabach. In aller Herrgottsfrüh brachen wir auf, als die Sonne noch schwach leuchtete und die Bäume schräge Schatten warfen. „Die beste Zeit für uns“, erklärte der passionierte Pfiffersucher. Wenn das Gras noch naß ist und der Boden dampft, wenn die Tautropfen wie Perlen an den seidenen Fäden der Spinnweben hängen, kann man die Pilze wachsen sehen, sagen die Schwammerljäger und sprechen dann von vielen Pfunden der schönsten Steinpilze.

Doch dieses „Latein“ blieb „Latein“. In drei Stunden entdeckte Fritz Haustein 20 eßbare Pilze: einen Maronenröhrling, zwei gelbe Pfifferlinge, drei Apfeltäublinge, sechs Perlpilze und acht Rotkappen. Der Sammler legte noch einen sehr seltenen „lila Dickfuß“ in das Körbchen und einen weißen spitzhütigen Scheidenknollenblätterpilz, der tödlich giftig ist. „Zum Studieren“, erklärte Fritz Hauenstein.

Giftige Pilze gibt es in den Wäldern um Nürnberg en masse, weiß er. Die Sammler sagen, daß jeder der genießbaren Pfiffer einen ungenießbaren Doppelgänger hat, der sich von dem guten Pilz durch geringfügige Einzelheiten unterscheidet. Warum diese Laune der Natur? Das Geheimnis ist noch nicht ergründet. Der häufigste Vertreter unter den minderwertigen Schwammerl ist der Rotbraune Milchling. Er hat sich überall breit gemacht und wächst in sogenannten Hexenkreisen, die im Mittelalter als Teufelsspuk gedeutet wurden.

Die bekanntesten Giftpilze aber sind der Ziegelrote Rißpilz, der Gift-Champion, der Pantherpilz, der Riesenrötling, der Flachhütige Scheiden-Knollenblätterpilz, der Spitzhütige Scheiden-Knollenblätterpilz, der Satanspilz, der Speitäubling und der Grüne Scheiden-Knollenblätterpilz.

Die Pilzberater der Naturhistorischen Gesellschaft des Gartenbauamtes und der Chemischen Untersuchungsanstalt wissen die Kennzeichen der giftigen Pfiffer genau zu unterscheiden. „Wir sind für das Wohl der Pilzsammler verantwortlich, die ihre ,Beute´ bei uns untersuchen lassen“, erklärte der Vorsitzende der Pilzberater, Paul Prasser. Bis jetzt unterlief noch keinem der amtlich geprüften Pilzfreunde ein Fehler. Deshalb sollten sich unsichere Sammler an sichere Kenner wenden, die die Pilze unentgeltlich unter die Lupe nehmen.

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