30. November 1966: „Schuld allein war die Panik ...“

30.11.2016, 07:00 Uhr
30. November 1966: „Schuld allein war die Panik ...“

© Kammler

Das sagte gestern Clemens G., einst Geschäftsführer der Kaufhof AG in Nürnberg in dem neuen Prozeß um die Tragödie, bei der am 17. Januar 1962 im ehemaligen Ringkaufhaus 22 Menschen ums Leben kamen und 27 verletzt wurden.

G., seit kurzem in Pension, versicherte dem Gericht, daß er kein Feigling sei und sich der Verantwortung nicht entziehen wolle, soweit er sie zu tragen habe. Für das Unglück aber, so meinte er, treffe ihn keine Verantwortung. „Ich bin der Auffassung, daß es im Ringkaufhaus alle Sicherungsmaßnahmen gab, die getroffen werden konnten.“

Mit dieser Ansicht freilich befindet sich der heute noch energiegeladene 66er – „Ich habe meine Leute immer auf Vordermann gebracht“ – in einem krassen Gegensatz zu den Feststellungen, die 1963 von der damaligen 2. Großen Strafkammer am Ende des ersten Prozesses getroffen wurden. Das Gericht – G. war damals noch Zeuge – zählte in seinem Urteil eine ganze Litanei von Unterlassungssünden auf, die in dem als Lager- und Bürohaus benützten ehemaligen Kaufhaus zum Nachteil der Sicherheit der Belegschaft begangen worden waren.

30. November 1966: „Schuld allein war die Panik ...“

© Ulrich

Im ersten Prozeß wurden diese Sünden freilich in erster Linie dem Hausinspektor Wolfgang S. angelastet, der dafür zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, von denen er nur einen Teil zu verbüßen brauchte. Nach etwa 10 Monaten Haft soll er heute, auf freiem Fuß, als Zeuge in diesem neuen Prozeß aussagen.

Von S. sagte G. gestern: „Er war der Techniker und hatte für die Sicherheit des Personals zu sorgen. Ich hatte die Gewißheit, daß er seine Aufgabe voll und ganz erfüllt. Er hatte mich davon unterrichtet, daß alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt wurden und ich habe mich auch davon überzeugt.“

K.: „Ich war nicht verantwortlich“

Wöchentlich zweimal will G. durchs Ringkaufhaus gegangen sein und so seiner Überwachungspflicht als Geschäftsführer genügt haben. Von Mitte November ab hatte er seiner Aussage nach aber keine Möglichkeit mehr, Rundgänge zu machen. Überbeanspruchung im Haus an der Königstraße und weite Reisen hätten dies verhindert. Die Überwachung sei von diesem Zeitpunkt automatisch dem anderen, gleichberechtigten Geschäftsführer, dem mitbeschuldigten K. Zugefallen.

K. aber erklärte bei seiner Vernehmung: „Ich hatte mit der Hausinspektion nichts zu tun und deshalb auch keine Verantwortlichkeit dafür, was S. getan oder unterlassen hatte.“ Er sei nur etwa alle 14 Tage einmal im Ringkaufhaus gewesen und habe dabei nichts bemerkt, was beanstandet hätte werden müssen.

Wie G., so will auch K. mit keinem Auge das Altpapierlager gesehen haben, das sich seit Anfang Oktober im Treppenhaus zwischen Erdgeschoß und Keller befand und in dem am Unglückstag der Brand ausbrach. Ebenso war die Papierpresse, die im Keller nebenan stand, ihrer Sicht entgangen.

K. hatte über die Papierpresse im Ermittlungsverfahren einige unvorsichtige Angaben vor der Staatsanwaltschaft gemacht. Er erklärte damals, die Papierpresse wohl gesehen, aber keine Gefahr befürchtet zu haben. Seine Versuche im ersten Prozeß, diese Aussage umzudeuten, waren, wie das erste Urteil zeigt nicht gelungen. Das Gericht baute darauf vielmehr sein Urteil auf.

Ausgangspunkt unbestritten

Völlig unbeteiligt an der Verantwortung für die Sicherheit des Personals im Feuerschutz gab sich der frühere Personalchef N., der inzwischen zum „Geschäftsführerassistenten in Ausbildung“ avancierte. Das ihm unterstellte Personal im dritten und vierten Stockwerk sei mit den Lagerräumen nicht in Berührung gekommen. Sein Weg beim Kommen und Gehen habe über die feuersichere Treppe geführt. Wenn das Personal nach Ausbruch des Brandes diesen Weg sofort benützt hätte, wären alle mit dem Leben davongekommen. Das ist seine Meinung.

Übereinstimmend vertraten gestern G., K. und N. Die Ansicht, daß die Ursache für das Ausmaß der Katastrophe allein die Panik gewesen war, von der das Personal unglücklicherweise erfaßt wurde.

Daß das Feuer im Treppenhaus ausgebrochen war, in dem das Altpapier zum Pressen bereitlag, wurde von keinem der Beschuldigten bestritten. Das war auch bereits im ersten Prozeß unstrittig. Als mutmaßlicher Brandstifter war damals der Hilfsarbeiter Hans S. angeklagt, der in der ersten Verhandlung auch zugab, an der Papierpresse einige Zigaretten geraucht zu haben. Wie er versicherte, hatte er seine Stummeln mit den Schuhen säuberlich ausgetreten. Das freilich konnte ihn von dem Verdacht der Täterschaft nicht reinwaschen.

Daß er trotzdem mangels ausreichenden Beweises rechtskräftig freigesprochen wurde, verdankte er allein der Tatsache, daß er das Gebäude schon eine Stunde früher zum Vespern in einer Gaststätte verlassen hatte, bevor der Brand im Treppenhaus ausbrach. So hatte nicht mit aller Sicherheit ausgeschlossen werden können, daß vielleicht doch ein anderer während dieser Zeit mit brennender Zigarette in das Papierlager gekommen sein konnte.

Dieser zweite Prozeß, der heute mit der Vernehmung der ersten Zeugen seinen Fortgang nimmt, nun bereits vier Jahre nach dem schrecklichen Geschehen, läßt einen auffallenden Unterschied zum ersten Prozeß im Herbst 1963 erkennen. Von dem damaligen Publikumsandrang und der Erregung, die sich allen Beteiligten damals noch mitteilte, war nun kaum mehr etwas zu spüren. Es herrscht eine rein sachliche Atmosphäre, jeder weiß aus dem ersten Prozeß und nach dem Urteilsspruch des Bundesgerichtshofs – der die Urteile gegen N. und K. zu neuerlicher Verhandlung aufgehoben hat – worauf es ankommt und richtet sich darauf ein.

Nur wenige Angehörige der damals ums Leben gekommenen Frauen und Männer und der Verletzten lauschen im Zuhörerraum auf das, was gesprochen wird. Bei ihnen kann es begreiflicherweise kein Vergessen geben. Und auch jeder Nürnberger, der Augenzeuge des schauerlichen Geschehens gewesen ist, wird sich in diesen Tagen wieder mit Schrecken daran erinnern.

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