5. August 1965: Schöne Welt auf bunten Karten

5.8.2015, 07:00 Uhr
5. August 1965: Schöne Welt auf bunten Karten

© Gerardi

Die bunt frankierten, meist farbigen Karten, deren Kaufpreis nicht unerheblich ist, vermitteln ein persönliches Lebenszeichen, aber sie bringen auch die weite Welt ins Haus. Kein Wunder, daß sie von vielen Empfängern aufbewahrt werden. In privaten Räumen, an Arbeitsplätzen, in Kosmetik- und Frisiersalons, hinter Kinokassen und nahe mancher Theke, sozusagen vom „schönsten Platz“ aus, läßt sich diese „Gruß-Palette“ entdecken. Beim ersten Hinschauen erregt sie oft schon Fernweh. Die Träume führen über Berge, Täler und Wasser hinweg. Sie lassen die Betrachter üppig kolorierter Ansichtskarten selbst dann nicht los, wenn sie wissen, daß gegenwärtig in der Kasse noch Ebbe herrscht oder andere Pläne überwiegen.

5. August 1965: Schöne Welt auf bunten Karten

© Gerardi

„Das alles stört mich nicht“, sagt die Fußpflegerin Elisabeth W., „ich freue mich vielmehr, daß meine Kunden auch dann an mich denken, wenn sie in ihrem Ferienparadies sind!“ Vergnügt zeigt sie auf das Kartengesteck zwischen den Kordeln an der stoffbespannten Wand neben ihrem Bedienungsstuhl. Die Photos zeigen Berlin und San Franzisko, das ewig blaue Mittelmeer und kernige Landschaften Tirols. „Überall muß es ja herrlich sein!“ ruft die vielbeschäftigte Angestellte aus, und ihre Kolleginnen stehen sehnsüchtigen Blicks um sie herum.

Ein Panorama von besonders intensiver Wirkung hat sich Chefdekorateur Gerhard B. in sein Atelier im vierten Stock eines Haushaltswarengeschäftes gezaubert. Von der schrägen Wand leuchten die bunten Karten, die ihm Firmenmitarbeiter geschickt haben. „Ich reise selber gerne und kenne schon viele prächtige Gegenden“, meint er, „aber immer wieder läßt sich, gerade durch dieses Kartenspiel, ein neues, interessantes Domizil finden!“ Dabei sind Redewendungen wie „Dort wäre man ja im siebten Himmel“ oder „Wie Gott in Frankreich könnte man leben“ nicht neu.

„Großabnehmerin“ von Landschafts- und Städtebildern im DIN-Format ist die Sekretärin Lili K. Ihre mittlerweile auf über tausend Stück angewachsene Sammlung läßt sich zwar nicht als „Tapete“ betrachten; sie steckt in vier Kartons, Schuhgröße 44. Die Karten, schwarzweiß und im Farbdruck, stammen aus 40 Ländern plus Deutschland, wobei Ost und West zueinandergehören. Die Reise mit den Augen machen oft auch ihre Gäste mit, und so manch einer blieb schon an einem Dorado „hängen“; er hat es später einmal aufgesucht.

Antonia, der Italiener am Allersberger Tunnel, betreibt ebenfalls auf diese (erlaubte) Weise „Fremdenverkehr“. In seiner Espresso-Bar hängen 17 Tableaus mit jeweils rund 20 Ansichtskarten aus aller Welt. Seine Gästesorgen stets für Nachschub, ob sie ihn nun aus Capri, Tokio oder Cambodia grüßen. Orient, Okzident und Neue Welt sind als Schauplätze ebensooft vertreten wie die Regelsmühle bei Lauf, der Schiefe Turm von Pisa oder ein Strandidyll der Nordsee. Auch Ulk-Karten bewahrt der Barkeeper auf, dem einige Gäste gefällig sein wollen, wenn sie „Allersbergo Tunnelo“ adressieren. So freut er sich über eine Karte besonders, die eine üppige Dame auf Wasserskiern zeigt. Darunter steht zu lesen: „Da wundern sich die Flundern!“

Nicht alle Feriengrüße, die jetzt hier ankommen, sind heiterer Art. „Das Wetter spielt die erste Geige!“, heißt es, „und die ist verstimmt!“ – Ein Glück, daß unser Hotel geheizt ist!“ – „Stürmisch und tiefstes Tief!“ – „Das ist Michelangelos David. Ob er auch so friert wie ich?“ Zusammengefaßt: vielleicht sammeln wir in diesem Sommer doch lieber Ansichtskarten als Geld für die eigene Reise?

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