7. Oktober 1965: Ein Beruf stirbt aus

7.10.2015, 07:00 Uhr
7. Oktober 1965: Ein Beruf stirbt aus

© Gertrud Gerardi

Wie nützlich es in unserer Zeit der Massenproduktion und des Massenkonsums ist, wendig und anpassungsfähig zu sein und nicht nur eine einzige Existenzgrundlage zu haben, erweist sich täglich im rauhen Alltag aufs Neue.

Immer mehr Berufe sterben aus, sind erbarmungslos überholt. Zum alten Eisen geworfen müßte sich auch Johann Mader, ein gelernter und erfahrener Ziseleur – einer der letzten seiner Garde – fühlen, wenn er nicht nach seiner soliden Lehre noch die Ausbildung als Modellschriftenmacher „mitgenommen“ hätte. Jetzt kann er damit weiter bestehen.

7. Oktober 1965: Ein Beruf stirbt aus

© Gertrud Gerardi

Der verständliche Hader über die Tatsache, daß heute fast jedes Prunk- oder Zierstück – vom Kronleuchter über die Ansteckrose bis zur Gliederkette – nur noch maschinell hergestellt wird, nützt dem nun 59jährigen gar nichts. Das weiß er auch, räsonniert aber doch hin und wieder: „Was auf den Markt kommt, ist gepreßt, gestanzt oder gedrückt. Wie fein wirkte dagegen ein Schmuck, der mit Meißel und Stichel und Punze bearbeitet wurde!“ Trotzdem: Ziselieren ist kein Vollberuf mehr und die „Graveurinnung für Nordbayern“ (sie führt den Ziseleur seit einiger Zeit schon gar nicht mehr im Titel) kann keinen Lehrling in diesem künstlerischen Fach betreuen.

„Der Graveur dagegen ist kein aussterbender Beruf“, sagt Obermeister Heinz Weber, Fürth. „Wir haben in den 64 nordbayerischen selbständigen Betrieben mit rund 350 Beschäftigten zu tun, und wir werben auch um unseren Nachwuchs – mit einer Ausstellung in den Räumen der Berufserfahrung des Arbeitsames Nürnberg und jetzt in einer Sonderleistungsschau der Handwerkskammer!“

Beim Ziseleur, so meint er, käme jede „Ermunterung“ zu spät, weil ihm das neumodische Industrieprodukt den Rang abläuft. „Heute wird eine Form ausgegossen und tausend- oder millionenfach für das Fertigprodukt verwendet!“ Das ist dann freilich weitaus billiger zu erwerben als das jeweilige Einzelstück des Ziseleurs.

Johann Mader, ein gebürtiger Nürnberger, der bei dem Altmeister Leonhard Kehr am Paniersplatz in die Lehre ging, gibt das unumwunden zu – und stellt nun eben in seiner Werkstatt Paracelsusstraße 111 Modellschriften und Schutzmarken in Handarbeit her. Es sind verschieden große Typenreihen aus Weißmetall, die beispielsweise an Lastwagen, Kühlschränken oder Hausfronten angebracht werden. Die Aufgaben vergangener Zeiten, Epitaphien, Figuren oder Denkmalstafeln als Gußziseleur (hierbei wurde mit Bronze, Messing oder Rotguß gearbeitet) oder als Treibziseleur edle Schmuckstücke aus Kupferblech, Silber oder Gold zu verzieren, sind ihm lieber gewesen.

Aus Gefälligkeit, aber auch aus eigener Freude, führte der „Exziseleur“ seine letzte Feinarbeit im alten Fach für eine Treuchtlinger Brauerei aus: er schuf eine Bronzetafel mit dem Wappen des Unternehmens. Ansonsten sind die Zeiten im Ziselierkämmerchen vorbei; die Punzen verstauben in einer alten „Suppenwurzpaste“-Dose. Jetzt ist es wichtig, daß der Gießofen „glüht“, die Formen und Schriftzüge stimmen. Johann Mader, einer von denen, die sich umstellen mußen, um schadlos durchzukommen, hat sein zweites Existenzexamen bestanden.

Der Schüttelvers, einst auf sein Fach gemünzt, ist nur noch eine Mär: „Der Armreif, der die Liese ziert, den hat ihr Bräutigam ziseliert . . .“

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