9. Dezember 1967: Sack voll von Träumen

9.12.2017, 07:00 Uhr
9. Dezember 1967: Sack voll von Träumen

© NN

Neben den Durchschnittswünschen, die sicher erfüllt werden können, legen "Wünsche unterm Weihnachtsbaum", eingereicht bei den Nürnberger Nachrichten erschütterndes Zeugnis von Armut und Leid, aber auch von naiver Kindlichkeit ab, mit der an die Allmacht des weltlichen Weihnachtsmannes geglaubt wird.

Vom schulpflichtigen Alter an durften alle Nürnberger drei Wünsche auf einem Coupon oder einer Postkarte einsenden, die sie sich entweder selbst erfüllen wollen oder bei Angehörigen und Freunden geäußert haben. Alter und Adresse waren angegeben.

Über 53.000 solcher Wunschzettel flatterten auf den Tisch des NN-Weihnachtsmannes. Die 160.000 Einzelwünsche lassen sich in 374 verschiedenen Artikel aufteilen, bei denen die Kleidung für modebewußte Damen an erster Stelle steht. Auf den nächsten Plätzen folgen Stiefel, Schuhe und Mäntel für die holde Weiblichkeit. Die Herren kommen dann erst zu Wort, denken aber ebenfalls zunächst an die Garderobe. Offenbar halten es die Nürnberger mit dem Sprichwort „Kleider machen Leute“.

Ein buntes Sammelsurium der verschiedensten Dinge stellt die Aufzählung dar. Im einträchtigen Beieinander finden sich da Puppen und Kochtöpfe, Pelzmäntel, Waschautomaten, Abendkleider und Fleischwolf oder eine Hochzeitsreise per Schiff. Wer bisher noch nicht wußte, was man sich alles wünschen kann, der weiß es nach dem Studium dieser Liste bestimmt. Für die Kaufleute bedeutet sie einen guten Überblick über die Nachfrage und die besonderen Wünsche ihrer Kunden.

"Schlemmerkiste zum Sattessen"

Bereits an 17. Stelle taucht der allgemeine Wunsch "Lebensmittel" auf. Für viele, vor allem für Rentner und alleinstehende alte Menschen ist der Festtagsbraten längst keine Selbstverständlichkeit . Einmal seit 18 Jahren richtig sattessen an beiden Festtagen" schreibt ein 59jähriger kranker Rentner. Von "einer Schlemmerkiste, zum Sattessen, Kohlen für mein Behelfsheim, einer Pfanne, wo man ohne Fett brät" träumt eine 60 Jahre alte Frau. Mit "Schweinebraten, einer Flasche Wein und ein paar Winterhausschuhe" möchte ein 77jähriger das Christfest feiern. Eine gelähmte ältere Frau wünscht sich ein Kleid zum Knöpfen, das ihr das Anziehen erleichtern soll.

Einen ausgefallenen, aber sicher erfüllbaren Wunsch hat die 71jährige Anna G.: zur goldenen Hochzeit im Dezember möchte sie „eine Hochzeitskrone und für meinen goldenen Mann ein Myrrhensträußchen“. Für einen 36 Jahre alten begeisterten Sportfischer erfüllen sich all seine Träume mit einem "Jahres-Fischereischein vom Nürnberger Fischereiverein". Von einer Fahrkarte nach Harzberg im Harz schwärmt eine 62jährige Mutter, weil sie ihre verheiratete Tochter besuchen möchte. Für den 70 Jahre alten Georg W. heißt die Devise "Jungbleiben mit Sport": er wünscht sich Schlittschuhe und ein Fahrrad zu Weihnachten.

All diese Dinge lassen sich kaufen oder mit ein wenig Gewitztheit und Findigkeit erwerben, deshalb rücken sie in den Bereich der Wahrscheinlichkeit. Viel schwieriger aber wird es für den Weihnachtsmann, wenn an ihn Wünsche gerichtet werden, die nicht er erfüllen kann, sondern die viele Menschen gemeinsam wahrmachen müßten. Wie soll er Frieden in Vietnam oder gar den Weltfrieden stiften können, wenn nicht alle friedenswillig sind?

Oft werden solche Idealvorstellungen von der Welt zusammen mit den allgemeinen Begriffen Glück, Zufriedenheit und Gesundheit geäußert, die wohl in jedem Menschen schlummern, die aber niemand prompt in die Tat umsetzen kann. Aufatmen durfte der NN-Weihnachtsmann, als sich die 60 Jahre alte Emmi K. nach den vagen Wünschen"Kein Krieg mehr, Friede für alle Welt" auf das praktische Leben besann und als Abschluß und Höhepunkt des Zettels einen "Teigrührer" nannte.

Wie aber sollte der mit Weihnachtsbestellungen arg eingedeckte Mann es bewerkstelligen, „die anständigen fleißigen Menschen vor der Schmutzwelle der Gegenwart zu schützen“, wie es die 60jährige Maria L. fordert? Ähnliche Probleme dürfte ihm die „neunte Clubmeisterschaft“ bereiten, die weniger in seinem Zuständigkeitsbereich als vielmehr bei Max Merkel und seiner Elf liegt. Aber bis Weihnachten kommen nicht einmal Trainer und Fußballer an dieses Ziel. Da müssen die begeisterten Fußballfans schon geduldig auf den Frühsommer warten.

Ein Nürnberger Ehepaar – beide Partner sind über 60 Jahre alt – verwechselt den Weihnachtsmann gar mit dem Klapperstorch. Beneidenswert sorglos müssen die beiden in Nürnberg leben, wenn sie selbstlos „Königin Fabiola ein Kind“ bestellen.

Helga soll ihn erhören

Der Hauptwunsch von Berta S. "Einen netten Mann, weil ich immer so einsam bin" wäre bei einem Heiratsinstitut oder in einer Heiratsanzeige besser aufgehoben als beim Weihnachtsmann. Ein Jugendlicher, der nur begehrt, daß „seine Helga wieder mit ihm geht", sollte vielleicht den Versuch unternehmen, mit dem Mädchen zu reden, um den Streit zu beenden, statt auf die Allmacht des heiligen Mannes zu vertrauen.

Das alles ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Wünschen von 53.000 Nürnbergern. Wollte man die Sehnsüchte nennen, ein Buch dürfte nicht ausreichen…

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