Als die Möbel noch Kurven hatten

2.7.2012, 19:02 Uhr
Als die Möbel noch Kurven hatten

© Hagen Gerullis

In der Pirckheimerstraße 39 war einst die Fahrschule West beheimatet. Heute steht der Laden leer. Eine Tür weiter befand sich lange Zeit das Domizil der „Bavaria“ Apotheke. Danach versuchte sich hier kurzzeitig ein Gemüseladen. Bald machte auch dieser dicht. Die Linie 9 war ein rollendes Schaufenster für die Einzelhändler, ein kostenloses noch dazu. Nach dem Aus der „Schdrasserboo“ glauben nicht wenige, dass die Verkehrsader im Nürnberger Norden gänzlich ausblutet.

Doch kürzlich fand das leerstehende Geschäft in der Pirckheimerstraße 41 einen neuen Mieter. Wohnstudio Weingart steht auf dem Schild. Wer durch die riesigen Schaufenster späht, der erblickt Kunst und Kuriositäten. Zum Beispiel eine mannshohe Lampe in Form einer Palme. „Das Teil ist eine italienische Kreation, die circa 1970 auf den Markt kam. Die gesamte Lampe ist mit Blattgold überzogen. Die Crème de la Crème des Edelkitschs passt perfekt zu dunklen skandinavischen Möbeln“, erklärt Michael Weingart. Im Film „Der Biss der Schlangenfrau“ von Ken Russell wird eine solche Lampe in den Fokus gerückt. Bei Auktionen zahle man für einen solchen Hingucker über 2000 Euro.

Als die Möbel noch Kurven hatten

© Hagen Gerullis

2004 hat Weingart seinen ersten Laden in der Peter-Henlein-Straße eröffnet. Der entwickelte sich schnell zum hiesigen Dorado für Anhänger von Retro-Utensilien. Jetzt also die Expansion in die Nordstadt. Eine rentable Geschichte, da ist sich Weingart sicher.

„Auch ohne Straßenbahn laufen hier viele Leute vorbei. Die meisten bleiben stehen und schauen, was es hier so gibt.“ Wie Marcela Barth. Die ist zu einem 50. Geburtstag eingeladen. Eine Party mit dem Motto 60er und 70er Jahre. „Dafür braucht man natürlich ein passendes Geschenk. Für ein Wellness-Wochenende zu sammeln wäre absolut daneben“, lächelt Barth. Die Frau entscheidet sich für einen Radiowecker von Grundig. Ein hübsches und selbstverständlich voll funktionsfähiges Gerät.

Weingart ist ein gelernter Kaufmann. Der heute 41-Jährige fasste irgendwann den Entschluss, seine langjährige Passion für die 50er, 60er und 70er zum Broterwerb zu machen. Denn bereits im Alter von 16 Jahren besuchte der Nürnberger die verschiedenen in der Stadt ansässigen Designläden, hörte Soul und Bert Kaempfert und entwickelte eine Vorliebe für Pop-Art im Geiste Andy Warhols. Dabei sind für Weingart nicht unbedingt die Sachen wirklich wertvoll, die das meiste Geld einbringen. Wichtiger sind für den Sammler auch manchmal skurril anmutende Raritäten, von denen er sich teilweise nur schweren Herzens trennen kann.

Als die Möbel noch Kurven hatten

© Hagen Gerullis

„Beim Sammeln ist eine gewisse Sucht normal.“ Zur Zeit schlägt Weingarts Herz für die deutschen Nachkriegsarchitekten, die einer neuen Sachlichkeit in der Bauhaustradition verschrieben waren. Ein absolutes Prunkstück sind ein Esstisch mit Rauchglasplatte und vier Stühle mit blauem Überzug von Knoll International. Natürlich allesamt Originale. Ein Stuhl der Neuauflage kostet 2200 Euro.

Flohmärkte sind heutzutage nicht mehr so interessant. Niemand zahle dort für einen Stuhl ein paar Hundert Euro. Dafür funktioniere das Netzwerk „Facebook“. Und als Second-Hand-Händler muss man mobil sein. Am kommenden Wochenende fährt Weingart mit seinem vollgepackten VW-Bus nach Köln. Dort trifft er sich auf einem Parkplatz mit einem Kollegen aus Brüssel. Die Waren werden getauscht und es geht zurück in die Noris.

„Es hieß ja früher schon: Nürnberger Tand geht durch alle Land“, lächelt Weingart. Der Mann macht quasi weltweit Geschäfte. So ersteigerte er aus der Konkursmasse des alten Schauspielhauses mehrere Lampen. Zwei davon erwarb ein Franzose und die Lampen hängen mittlerweile in einer Boutique in der Karibik.

Wohnstudio Weingart, Pirckheimerstraße 41. Öffnungszeiten: Samstag 11–19 Uhr.
 

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