Als Nürnberg einen Hauch von Weltstadt verströmte

16.3.2017, 16:10 Uhr
In der Sulzbacher Straße 1 steht heute das Universa-Haus. Es trat 1952 an Stelle des kriegszerstörten „Englischen Cafés“.

© Foto: Boris Leuthold In der Sulzbacher Straße 1 steht heute das Universa-Haus. Es trat 1952 an Stelle des kriegszerstörten „Englischen Cafés“.

Der große Sprung nach vorn kam für Nürnberg Ende des 19. Jahrhunderts: Die Wirtschaft brummte, Zehntausende strömten Jahr für Jahr auf der Suche nach Glück und Wohlstand an die Pegnitz. Im Rathaus träumte man davon, Nürnberg auch baulich das Gepräge einer modernen Großstadt zu verleihen. Der Ring um die Altstadt war dazu auserkoren, an die Pariser Champs-Élysées, die Wiener Ringstraße oder die Londoner Mall anzuknüpfen. Prätentiös? Nun ja, ein bisserl schon. Bescheidenheit war die Sache gründerzeitlicher Stadtväter nicht.

In den 1880er Jahren begann der Ausbau des Platzes am Laufer Tor, dem heutigen Rathenauplatz. Ausgedehnte Obst- und Gemüsegärten und altersschwache Vorstadtanwesen wichen Zug um Zug bombastischen Wohn- und Geschäftshäusern mit verspielten Erkern und Giebeln. Dass die Neubauten im Stil der internationalen Neorenaissance gehalten waren, sagt viel über die Absichten der Bauherrn und Stadtplaner aus: Hier sollte kosmopolitische Baukunst für eine künftige Weltstadt entstehen. Für heimische Spielarten wie den Nürnberger Stil war da kein Platz. Der Laufer Torturm gegenüber war genug Lokalkolorit.

Weltstädtisches Flair verströmten die Fassaden und das „Englische Café“ im Anwesen Sulzbacher Straße 1, wie diese zwischen 1900 und 1905 gefertigte Aufnahme zeigt.

Weltstädtisches Flair verströmten die Fassaden und das „Englische Café“ im Anwesen Sulzbacher Straße 1, wie diese zwischen 1900 und 1905 gefertigte Aufnahme zeigt. © Foto: Erwin von Leistner

1873 stand an der Sulzbacher Straße 1, direkt an der Abzweigung der Bayreuther Straße, noch ein bescheidenes Vorstadthaus – sowohl in punkto Architektur als auch Wohnqualität: In die Wohnungen im Obergeschoss gelangte man nur über einen Laubengang im Hof, an Bäder und private Toiletten war nicht zu denken, und der ranzige Odeur der Ölfarben, den Hermann Stehles Druckerei im Erdgeschoss ausdünstete, stellte selbst die leidgeprüften Nasen des frühen Industriezeitalters auf eine harte Probe.

Dann trat Bauunternehmer Johann Adam Paul auf den Plan. Er kaufte das Haus 1884, brach es ab und schuf an seiner Stelle nach eigenem Entwurf einen Neubau, dem die Bezeichnung "Palast" gut zu Gesicht stand: Die Fassaden veredelte er mit Rustika-Mauerwerk, Pilastern und Säulenbalkonen, die Dächer bekrönte er mit Kuppeln, Schneckengiebeln und Ziergittern.

Die luxuriösen Appartements in den Obergeschossen boten nun alles, was das Herz begehrte, inklusive Toiletten und Bädern mit Warmwasser – für die früheren Mieter natürlich unerschwinglich. Im Hochparterre eröffnete der gelernte Oberkellner Fritz Fürsattel sein "Englisches Café". Für manch einen mag das ein Widerspruch sein, ist England doch nicht gerade für seine Kaffeekultur berühmt. Der Beliebtheit des Etablissements tat das keinen Abbruch.

Nach einem kurzen Gastspiel von Johann Georg Oerterer als Cafetier war es 1910 mit der Gemütlichkeit vorbei: Die Dresdner Bank übernahm das Zepter, der Gastraum wurde zur Schalterhalle. Darunter ließ die Kreditanstalt einen Tresor mit fast ein Meter dicken Wänden einbauen. Nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkrieges waren Keller und Hausecke alles, was von der Sulzbacher Straße 1 noch aufrecht stand. Rundum erstreckte sich eine Wüste aus Schutt und rußgeschwärzten Mauerresten. Die Pracht der Kaiserzeit war dahin.

Im Treppenhaus der Universa fanden regelmäßig Kunstausstellungen statt, wie hier 1953.

Im Treppenhaus der Universa fanden regelmäßig Kunstausstellungen statt, wie hier 1953. © Foto: Meyer

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich die Denkweise des 19. Jahrhunderts nach dem Krieg wiederholte: Erneut bebaute man die Ränder des Rathenauplatzes mit Prachtbauten, diesmal im Stil der Nachkriegszeit, wieder ohne Bezug zur Nürnberger Architekturtradition und nicht gerade in bescheidenen Dimensionen. Das verwüstete Eckgrundstück ging an die Universa Lebensversicherungsanstalt.

Die ließ sich dort ab 1951 von Hans Anton Meyer ihre Zentrale als modernen Stahlbeton-Skelettbau mit Vorhangfassaden aus Travertin errichten, die man in jüngerer Zeit durch Granitplatten ersetzt hat. Der Rücksprung der Front an der Straßenecke und Reihen hochrechteckiger Fenster verleihen dem Haus eine in die Höhe strebende, filigrane Anmutung. Ein Textlaufband an der Fassade – damals ein absolutes Novum in Nürnberg – informierte über die Nachrichten des Tages.

Auch die gastronomische Tradition fand eine Fortsetzung: Bis 1970 genoss man vom Dachgartencafé "Vier Jahreszeiten" bei Livemusik den Ausblick über Nürnberg. Eilige nahmen den "Schnellaufzug", Kunstsinnige zogen die grazil geschwungene Treppe vor, zu deren Seiten regelmäßig zeitgenössische Kunst ausgestellt wurde. Das "Englische Café" und das "Vier Jahreszeiten" leben nur in Erinnerungen und auf vergilbten Fotografien fort. Geblieben ist das Haus, das noch heute von den Zeiten kündet, da Nürnberg sich als Großstadt neu erfand.

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