An Heiligabend läuft die Zeit ab: Uhrmacher Kristfeld hört auf

19.11.2018, 15:29 Uhr
An Heiligabend läuft die Zeit ab: Uhrmacher Kristfeld hört auf

© Foto: Michael Matejka

"Bis zu 50 Prozent auf alles" steht an den Fenstern der Verkaufsräume am Lorenzer Platz. Drinnen geht es gerade zu wie sonst wohl nur kurz vor Weihnachten. Mittendrin: Günter Kristfeld. 1994 hat er das Uhrmacher-Geschäft, das 1845 von Johann Kristfeld gegründet wurde, von seinen Eltern übernommen. Vor einigen Jahren sah es noch so aus, als würde auch er es seinen Kindern übergeben. Die sechste Generation wäre das gewesen.

Es bleibt beim Konjunktiv. "An Heiligabend ist Schluss", sagt Kristfeld. Die Entscheidung ist ihm schwergefallen. Aber der Online-Handel, die Dominanz von Handelsketten und auch die Leere auf dem Lorenzer Platz – all das hat dazu geführt, dass er seinen Kindern das Geschäft nicht guten Gewissens übergeben kann. Außerdem: "Heute trägt man Smartwatches", sagt der 77-Jährige. Und wenn der Mann von heute dann doch einmal eine normale Armbanduhr trägt, dann ist dort mittlerweile eben eine Batterie drin.

Uhren mit Batterien – das ist nicht das, wofür Kristfelds Herz schlägt. Für ihn müssen es mechanische Uhren sein. Die schönste, die er je in die Hand bekommen hat? "Eine IWC mit Schlagwerk", sagt er. "Es gibt schon tolle Uhren." Manchmal blättert er Kataloge durch und schaut sich die exotischsten an. "Aber 250.000 Euro sind da gar nichts", sagt er, "wer soll sich das kaufen?"

Freude am Aufziehen

Unbezahlbar ist wohl auch seine eigene Sammlung ("50 reichen nicht"). Und genau mit der will er sich im Ruhestand beschäftigen. Historische Modelle aus den 30er Jahren, Taschenuhren, nostalgische Schmuckstücke, teilweise wurden sie nie getragen. "Ich hab schon Freude daran, wenn ich sie alle paar Wochen einmal aufziehen kann", sagt er.

Und natürlich auch daran, wenn er mal eine reparieren muss. "Damals wurden wir noch so ausgebildet, dass wir alle Uhren reparieren können", sagt er. Das sei heute anders. Vieles, das Kristfeld noch zum Laufen bringt, hätte bei einem anderen Uhrmacher wohl keine Chance mehr.

Solche Qualitäten sind es auch, die ihm jetzt kurz vor Schluss die Kundschaft in den Laden treibt. Wohin sollte man jetzt auch sonst gehen? "Solche Fragen stellen sich viele immer erst dann, wenn ein Geschäft schließt", sagt Kristfeld. Stammkunden gibt er aber gern ein Kärtchen mit seiner privaten Telefonnummer, da können sie bei Problemen dann gern aufs Band sprechen. Ganz ohne Uhrenreparaturen geht es schließlich auch im Ruhestand nicht. "Ich habe eine ruhige Hand und gute Augen", sagt er, "da kann man als Uhrmacher lange arbeiten."

Kristfeld kümmert sich für die Zeit nach Heiligabend aber nicht nur um seine Stammkunden, auch seine Mitarbeiter will er anständig versorgt wissen. Für sie will er Kontakte spielen lassen und ihnen bei der Suche nach neuen Stellen helfen. "Gute Verkäufer sind wichtig", sagt er.

Aber die Zeiten ändern sich eben. Auch in Sachen Schmuck. Wurde früher noch Gold gekauft, verlange der Kunde heute eher Silber. Schöne Schmuckstücke werden heute manchmal gar nicht getragen, sondern fristen ein trauriges Dasein in Tresoren. "Aber wenn man Schmuck hat, dann soll man ihn doch auch zeigen", sagt Günter Kristfeld.

Keine Kommentare