Auf dem Papier ein Türke, im Herzen Gostenhofer

12.11.2018, 09:08 Uhr
Auf dem Papier ein Türke, im Herzen Gostenhofer

© Foto: Kastenhuber

Auf Anhieb versteht Harun Çolak die Frage nicht so recht. Ob er in 45 Jahren irgendwann mal daran gedacht habe, aus Gostenhof wegzuziehen. In einen anderen Stadtteil, wo es schöner, grüner oder ruhiger ist. Also manchmal, erzählt Çolak dann, gehe er schon irgendwo anders in der Stadt spazieren. "Aber wenn ich zurückkomme, denke ich mir immer: Gott sei Dank, wieder in Gostenhof – wieder daheim."

In Giresun am Schwarzen Meer ist Harun Çolak aufgewachsen. Mit 17 kam er 1973 nach Nürnberg, wo der Vater schon vier Jahre zuvor Arbeit gefunden hatte. Die Familie fand eine Wohnung in der Fürther Straße. In den vom Bombenkrieg weitgehend verschont gebliebenen und deshalb nach 1945 zunächst nicht modernisierten Häusern Gostenhofs waren die Mieten günstig, weshalb viele türkische Landsleute, aber auch griechische und italienische "Gastarbeiter" dort lebten. So einfach ist die Multikulti-Geschichte des Stadtteils erklärt.

Unter Landsleuten

Kein Wort Deutsch sprach Çolak, als er hier ankam. Dem türkischen Lebensmittelhändler, bei dem er sofort Arbeit fand, war das egal. Seine Kunden waren ohnehin fast ausschließlich Türken. Es war deshalb gar nicht so leicht, erinnert sich der freundliche 61-Jährige mit dem Oberlippenbärtchen, damals tagsüber den Wortschatz einzuüben, den er abends im Deutschkurs gelernt hatte. Aber Çolak hielt durch. "Und später hat mir das Gelernte viel geholfen."


Projekt #MeinGoho: "Gostenhof ist Inspiration pur"


Als er jung heiratete, zog er bei den Eltern aus und mit seiner ebenfalls aus der Türkei stammenden Frau zusammen. Ein paar Ecken weiter,
in der Denisstraße. In den 68 Quadratmetern der Dreizimmerwohnung wuchsen drei Kinder auf. Jetzt lebt das Ehepaar dort allein. Vor gut 30 Jahren, erzählt Çolak, habe man ihm angeboten, die Wohnung zu kaufen. Weil er damals von den 1300 bis 1400 Mark, die er als Mitarbeiter eines Lebensmittel-Discounters verdiente, seine Familie ernähren musste, hat er sich die Investition nicht zugetraut. "Es war ein Fehler", sagt er heute und lacht. "Ich hätte es machen sollen." Im Gegensatz zu vielen Landsleuten wird er als Rentner nämlich nicht in die Türkei zurückkehren.

"Es war eine schöne Zeit", sagt Harun Çolak immer wieder, wenn er von seinem Leben in Gostenhof erzählt. Von der inzwischen nicht mehr existierenden kleinen Kneipe in der Fürther Straße, die in den frühen Jahren fast allabendlich Treffpunkt deutscher und türkischer Jugendlicher war. Von der erfolgreichen Arbeit als Elternbeirat in der Schule seiner Kinder. Und vor allem von seinen vielen Aktivitäten beim Fußballverein Dergahspor, der jetzt Türkspor Nürnberg heißt.

Beste Nachbarschaft

Harun Çolak ist ein kommunikativer Mensch. Er kommt leicht mit anderen in Kontakt. Er ist fest verwurzelt in der türkischen Gemeinde der Stadt. Er hat aber auch viele deutsche Freunde. Er erzählt von seinen Wohnungsnachbarn, die, wenn sie in Urlaub fahren, bei ihm für alle Fälle ihre Schlüssel deponieren. Und die er vorwarnt, wenn sich mal ein paar Leute mehr zu Besuch bei ihm angemeldet haben und es lauter werden könnte am Abend. "Die haben sich noch nie beschwert. Und wenn sie mal feiern, beschwere ich mich nicht."

Harun Çolak führt ein glückliches Leben in Gostenhof. "Es ist meine Heimat." Auch wenn er – im Gegensatz zu seinen Kindern – noch immer türkischer Staatsbürger ist. "Warum? Ach, was würde es ändern?" Gostenhofer kann man auch als Türke sein.

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