Auf die Feuertaufe folgte die große Ernüchterung

26.2.2014, 18:01 Uhr
Auf die Feuertaufe folgte die große Ernüchterung

© aus Gostenhof, Geschichte eines Stadtteils

Gerade einmal vier Monate alt ist die Tochter Pauline, als der 27-jährige Lehrer Heinrich Grüb am 3. August 1914 in die Großreuth-Kaserne einrückt. Eine Woche später hört er im Elsass den Kanonendonner. Am 20. August erlebt er sein erstes Gefecht, bei dem 16 Nürnberger sterben, 273 verwundet werden.

Bis in den November reichen die Aufzeichnungen. Bis dahin haben zahlreiche Freunde, Kameraden, Offiziere ihr Leben verloren. Grüb selbst fällt am 31. Januar 1915.  Hans-Jochem Wölfel hat das Tagebuch und einige Briefe seines Großvaters abgeschrieben und den Nürnberger Nachrichten zur Vreöffentlichung überlassen. Sie  bieten einen unverfälschten, weil nie zur Veröffentlichung gedachten Einblick in das Leben eines einfachen Soldaten.

Gottlieb Müller hat überlebt. Doch 1917 hatten drei Jahre Kriegsdienst seine Gesundheit so zerrüttet, dass der 22-Jährige aus dem Militär entlassen wurde. Der junge Franke notierte während dieser Zeit alles, was ihm wichtig erschien — und er hatte eine Kamera im Marschgepäck. Müller fotografierte aus dem Schützengraben über zerschossene Baumstümpfe die belgischen Orte, durch die seine Kompanie mit der Bahn fährt, eine Feldküche, einen abgeschossenen Flieger, Soldaten, die ihre Auszeichnungen präsentieren.

Doch nicht nur die originalen Fotos machen das Tagebuch des jungen Franken, der bis in die 60er Jahre Lehrer in Thiersheim war, zu etwas Besonderem. Denn Müllers Enkel Gerhard Kist lernte lange nach dem Tod seines Großvaters den Franzosen Jean Couvreux kennen. Dessen Vater versorgte französische verwundete Soldaten in demselben Frontabschnitt, an dem Müller kämpfte. Gegeneinander montiert ergeben die Aufzeichnungen der beiden gegnerischen Soldaten ein intensives Bild.

Der 19-jährige Philipp Widmer meldet sich voll patriotischen Überschwangs als Kriegsfreiwilliger am 10. August 1914, sechs Tage nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien, beim Bayerischen 14. Infanterieregiment  in Nürnberg.  Drei Jahre später ist der Sohn eines Kunstprofessors zutiefst  ernüchtert. „Ich möchte fort, weit weg, nichts mehr vom Militär und Krieg wissen und daheim frei wie ein Vogel durch die Frühlingswelt wandern“, notiert er am 24. März 1917.
Irgendwann nach seinem Heimaturlaub in Nürnberg vom 27. April bis 12. Mai 1917 setzt Philipp Widmer mit Bleistift eine Art Testament auf einem kleinen Zettel auf, den die Familie später in die ihr übergebenen Tagebücher einklebt. Der letzte Eintrag aus seiner Hand stammt vom 4. Juni 1917.

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