Betreutes Wohnen kann zur Schuldenfalle werden

22.5.2013, 07:00 Uhr
Betreutes Wohnen kann zur Schuldenfalle werden

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Sie wollte ihren Eltern doch nur etwas Gutes tun: Bevor Petra Müller (Name geändert) sich für das Nürnberger Wohnmodell mit Betreuung für ihre Eltern entschied, erkundigte sie sich genau. Sie verglich mehrere Seniorenheime und überlegte sich, welche Leistungen ihre Eltern im Alter benötigen könnten. So entschloss sie sich letztendlich für eine Eigentumswohnung in der betreuten Anlage mit 215 Wohneinheiten, in die ihre Eltern einzogen. „Es war gleich in meiner Nähe, die Lage und Verkehrsanbindung haben mir gefallen“, erinnert sich Müller. Außerdem lockten die Versprechungen, die vonseiten der Wohnanlage gemacht wurden: So sollte bei Erkrankungen eine „kostenlose Betreuung im Appartement“ gewährleistet sein. Das ist nur eine der zahlreichen Dienstleistungen, die den Bewohnern zugesichert wurden. Dazu musste Müller nur den sogenannten „Servicevertrag“ unterzeichnen, der Pflicht für den Wohnungskauf in der Anlage im Jahr 2000 war. Das tat sie auch. Ein gravierender Fehler, wie sich herausstellte.

Denn der „Servicevertrag“ kostete knapp 197 Euro im Monat – neben den normalen Nebenkosten von 450 Euro. Geld, das Müller gerne bereit war zu zahlen, wenn sie ihre Eltern dafür in guten Händen wusste. Das war jedoch nicht der Fall: Zwar gab es Betreuungspersonal, doch nur in Verbindung mit weiteren Verträgen. Und die bedeuteten wiederum Extrakosten. „Es war eine Wohnung mit Beipackzettel. Was alles noch hinter dem Vertrag stand, konnte ich damals nicht absehen. Der Vertrag war nicht transparent und ungenau formuliert“, weiß Petra Müller jetzt.

„Hier wurde klar die Notlage ausgenutzt“

Es gab immer weitere Überraschungen für Müller: Denn das eigentlich Pikante an dem Vertrag ist die Laufzeit. So sollte sie die Servicepauschale von fast 200 Euro bis 2020, insgesamt zwanzig Jahre, zahlen. Selbst wenn die Wohnung leer steht – zum Beispiel nach einem Todesfall –, soll der Betrag (gegebenenfalls auch vom Rechtsnachfolger) weitergezahlt werden. So geschehen auch in diesem Fall: 2009 mussten Müllers Eltern ins Pflegeheim. Das Appartement war also unbewohnt und es wurden folglich keine Dienstleistungen in Anspruch genommen. Trotzdem musste sie weiterhin die Servicepauschale neben den Kosten für das Pflegeheim zahlen. „Hier wurde klar die Notlage ausgenutzt“, argumentiert der zuständige Anwalt Rainer Schwegler.

Die Klausel für die zwanzigjährige Vertragsbindung hat das Oberlandesgericht Nürnberg nun für rechtswidrig erklärt. Müller hat damit einen langwierigen Prozess für sich entschieden. Das Urteil besagt, dass die zwanzigjährige Bindung an den „Servicevertrag“ gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ist und den Eigentümer dadurch unangemessen benachteiligt. Im Klartext heißt das, dass eine Vertragskündigung für Müller nun wirksam ist. Auch die Reallast, die im Grundbuch der Wohnung für die Servicepauschale eingetragen war, muss gelöscht werden. Nürnberg ist damit Vorreiter, denn einen solchen Fall gab es bayernweit – zumindest vor Gericht – noch nicht.

Die gegnerische Partei sieht das Urteil hingegen kritisch, wie es in einem Statement heißt: Denn das Urteil sei gegen den „Sinn und Zweck des betreuten Service-Wohnens“. Die Anlage wolle den Bewohnern lediglich „dauerhaft den größtmöglichen Betreuungsservice zukommen lassen“. Die Urteilsfindung war demnach kein leichtes Spiel: Der Fall musste seit Mai 2012 durch zwei Instanzen gehen, bevor das Urteil rechtskräftig werden konnte. Für die eingeschaltete Anwaltskanzlei Hagn und Schwegler ist Petra Müller längst kein Einzelfall mehr. „Es ist ja nicht nur diese eine Anlage beteiligt“, weiß Anwalt Schwegler aus seinen Recherchen. So haben sie mittlerweile acht Fälle zu diesem Thema betreut: Vier mussten beziehungsweise müssen zukünftig vor Gericht, die übrigen konnten außergerichtlich gelöst werden. „Anfangs wussten viele nicht, dass man sich aus solchen Knebelverträgen lösen kann. Jetzt spricht es sich langsam herum“, erzählt Anwalt Marc Hagn. Denn auch andere betreute Wohnanlagen für Senioren bieten ähnliche Verträge an, die die Betroffenen möglichst lange binden sollen.

Die Einrichtungen begründen dies meist aus wirtschaftlicher Sicht, weiß Hagn: „Wenn sie die Menschen möglichst lange an sich binden, können sie besser kalkulieren.“ Trotzdem lohne es sich, für sein Recht zu kämpfen, denn das würde oft auch belohnt. Nach allen Strapazen hält Müller dennoch an der Wohnung fest: „Das Haus an sich ist wunderschön. Und betreutes Wohnen ist immer noch besser als jedes Altersheim. Es muss nur bezahlbar gemacht werden.“
 

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