Böller-Explosion in Nürnberg: Hand zerfetzt, Fan verurteilt

14.9.2017, 05:55 Uhr
Ein Fan aus Dresden hat in Nürnberg durch einen Böller drei Finger verloren – und eine Verurteilung wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion kassiert.

© Foto: Thomas Eisenhuth, dpa Ein Fan aus Dresden hat in Nürnberg durch einen Böller drei Finger verloren – und eine Verurteilung wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion kassiert.

Rund 5000 Dresdner Fans zogen zum Max-Morlock-Stadion. Bengalos brannten, immer wieder waren Böller zu hören. Mittendrin: Ein 35-Jähriger. Er kann sich gar nicht daran erinnern, was an dem Tag eigentlich passiert ist. In Fankreisen machte jedoch das Gerücht die Runde, dass er einen der Böller vom Boden aufheben und wegwerfen wollte. Zu spät. Der Knallkörper explodierte. Dem 35-Jährigen wurde die rechte Hand zerfetzt. Er verlor drei Finger – und wegen des Traumas auch seine Erinnerung an den Tag. Zum Teil konnten die Finger wieder hergestellt werden, langsam geht es dem Mann auch besser. Er will schnellstmöglich wieder arbeiten – egal was.

Die Version vom Böller am Boden, den der 35-Jährige nur wegwerfen wollte, glaubten die Ermittler jedoch nicht. Der Mann musste sich im Mai vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts verantworten: und wurde wegen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Ein Urteil, das er nicht akzeptieren wollte. Über seinen Verteidiger Ralf Peisl lässt er nun vor der Berufungskammer des Landgerichts erklären, dass er von Pyrotechnik überhaupt nichts hält. Zu der Partie in Nürnberg habe er deshalb auch keine Böller oder Ähnliches mitgenommen oder an sich genommen.

Peisl übt harsche Kritik an den Ermittlern. So sei sein verletzter Mandant etwa von einer Privatperson erstversorgt worden, nicht von den – zahlreich anwesenden – Einsatzkräften. Ein Polizist hat vor dem Amtsgericht auch angegeben, dass er sich in Uniform gar nicht zu dem Verletzten getraut hatte, so aufgeheizt sei die Stimmung unter den Fans gewesen. Es sind aber nicht nur die Ermittler, mit denen Peisl hart ins Gericht geht. So weist er etwa auch auf widersprüchliche Angaben der Zeugen hin, die in der erstinstanzlichen Verhandlung gehört wurden. Über Fan-Foren hatten Peisl und sein Mandant Zeugen gesucht. Es meldete sich jedoch niemand, der vor Gericht aussagen konnte, dass der 35-Jährige den Böller vom Boden aufgehoben hatte.

Verteidiger kritisiert "Lex Calcio"

In seinem Plädoyer sagt Peisl, dass sein Mandant gleich aus mehreren Gründen hätte freigesprochen werden müssen. "Es gilt der Grundsatz ,in dubio pro reo‘", sagt er. Also im Zweifel für den Angeklagten. "Aber auf diesem Grundsatz tanzt das erstinstanzliche Urteil gleich doppelt Tango." Niemand habe schließlich gesehen, dass sein Mandant den Böller angezündet hat. Außerdem sei es doch gar nicht erwiesen, dass es sich bei dem Sprengkörper um einen ungekennzeichneten Böller handelte.

"Und Kleinböller werden von dem Straftatbestand des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion doch gar nicht erfasst", sagt er mit Blick auf aktuelle Rechtsprechung. Peisl spricht gar von einer "Lex Calcio" – einem härteren Sonderstrafrecht für Fußballfans. Überhaupt: "Mein Mandant ist schon gestraft genug", so Peisl mit Blick auf die Hand des 35-jährigen frischgebackenen Vaters.

Paragraf 60 des Strafgesetzbuches sieht vor, dass das Gericht von einer Strafe absehen kann, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Der Paragraf gilt für Strafen von unter einem Jahr. Im Hinblick auf eine Generalprävention hatte das Schöffengericht dennoch eine sechsmonatige Bewährungsstrafe verhängt.

Vor der Berufungskammer des Landgerichts hat der 35-Jährige mehr Glück. Verurteilt wird er dennoch – wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion. "Kein Mensch würde einen Böller aufheben", so der Vorsitzende, "es wäre höchstens denkbar, dass man einen Böller wegkickt." Die Version, die Peisl für seinen Mandanten vorgetragen hatte, sei deshalb nicht glaubhaft. Bestraft wird der 35-Jährige aber nicht. "Sie werden Ihr Leben lang mit Ihrer Hand zu tun haben und werden so an den Vorfall erinnert", so der Vorsitzende. Das sei Strafe genug.