Böller und Betrunkene: Wie ein Taxifahrer Silvester erlebt

31.12.2018, 05:41 Uhr
Böller und Betrunkene: Wie ein Taxifahrer Silvester erlebt

© Roland Fengler

Für viele ist es purer Luxus. So, als würde man Kaviar mit dem Suppenlöffel essen. Oder jeden Tag in Eselsmilch baden. Doch auch wer sich das Taxifahren deshalb das Jahr über tunlichst verkneift, wird an Silvester schwach. "Da wollen sie alle mit", sagt Matthias Glowatsch über das abrupte Ende der Sparsamkeit in dieser Nacht. Der Mann mit den grauen Schläfen und der Metallbrille sitzt seit 15 Jahren am Steuer, wenn’s draußen knallt und kracht. Weil die letzte Nacht des Jahres die beste ist - fürs Portemonnaie vor allem.

Zusammen mit 450 Kolleginnen und Kollegen schiebt der 53-Jährige in Nürnberg an Silvester Dienst. Von 19 bis 6 Uhr früh sitzt er in seiner eierschalenfarbenen Kutsche und bringt dabei nicht eine einzige Wunderkerze zum Funkeln. "Ich bin nicht so der Silvestertyp", sagt der Taxifahrer und -unternehmer gottergeben. In der Ruhe vor dem Sturm, um 0 Uhr, ruft er kurz die Familie an, wünscht allen Glück. Mehr ist nicht drin.

Acht Autos bringt Glowatsch auf die Straße, weshalb er genau weiß, was einem Taxerer am Jahresende blühen kann. Raketenbatterien mitten auf der Straße gehören dazu. In Schoppershof habe er einmal ein startklares Feuerwerk unter die Räder nehmen müssen. Der Besitzer der plattgefahrenen Kanonade sei fast tätlich geworden, doch vor vier Jahren war es nachts so neblig, dass fast nichts mehr ging.



Angst? Die habe er "nur vor dem illegalen Zeugs", das manche krachen lassen. Schon oft musste sein Team die Reifen wechseln, weil Glasscherben auf der Straße gelegen hatten. "Mir sind Leute an Silvester auch schon übers Taxi gelaufen", sagt der Chauffeur, der während des Studiums aushilfsweise hinters Steuer rutschte und dort bis heute hängen blieb.

Aufgekratzt seien die Menschen - aber keineswegs betrunkener als an normalen Samstagabenden. Der "Lebensmittelauswurf" im Wagen halte sich zum Glück sehr in Grenzen, witzelt Glowatsch im Branchenjargon. So gegen 1 Uhr wollten dann vor allem die Älteren schnell nach Hause. Die Jüngeren machten oft erst um 9 Uhr früh Schluss. Zu viel Wodka mit Red Bull, zu viele illegale Substanzen, das sei bei den "Kiddies", wie er diese Diskotheken-Kundschaft nennt, ziemlich verbreitet.

Ab in die Warteschleife

Wer versucht, sich unter der 19410 in der Ziegelsteiner Taxizentrale einen Wagen zu reservieren, hat am Jahreswechsel schlechte Karten. Von Mitternacht bis früh um 7 Uhr ist Vorbestellen tabu, also bleibt vielen nur die nervtötende Warteschleife, obwohl fünf Kräfte die ganze Nacht in der Zentrale Telefondienst schieben.

 

"Gehen Sie auf die Straße und winken Sie, wenn Sie ein Taxi sehen", rät Matthias Glowatsch allen späten Kunden. Ihm habe ein Verzweifelter am Hauptbahnhof schon mal einen 50-Euro-Schein auf die Motorhaube geknallt. "Den hab’ ich stehengelassen", sagt der Fahrer. Auch an Silvester geht es unter Kollegen streng der Reihe nach. "Wenn wir das anfangen..."

Ein neues Jahr, ein neues Glück. Das kommt vor, auch wenn in Glowatschs Auto noch nicht viel mehr als Kuscheln passiert ist. Ein verliebtes Pärchen habe einen Kollegen gebeten anzuhalten und zehn Minuten auf Abstand zu gehen. Die Uhr lief, die Leidenschaft auch. Dann ging es weiter.

Die Tageszeitung, den Spiegel, Wechselgeld. Mit diesem Proviant startet der Taxerer auch in die lange Silvesterschicht.

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