Bösewichte aus allen Schichten

16.6.2015, 19:47 Uhr
Bösewichte aus allen Schichten

© Abb.: Neubauersche Chronik, Stadtarchiv Nürnberg

Gleich in zwei Stadtarchiven, in Augsburg und Nürnberg, hat sich Nico Pietschmann durch alte Wälzer gearbeitet. Für seine Bachelor-Arbeit forschte der junge Historiker aus München nach Hinweisen zur Lage von Randgruppen zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert. Für seine gründliche Auswertung bisher ungedruckter Bestände hat der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg dem Nachwuchs-Historiker, der gerade den Master-Abschluss anstrebt, jetzt einen von drei erstmals vergebenen Förderpreisen verliehen.

Eines der Ergebnisse: „Oft werden die Angehörigen dieser Gruppen über einen Kamm geschoren, aber es gibt tiefgreifende Unterschiede“, stellt der 30-Jährige fest. So genossen die Frauen, die ab dem 13. Jahrhundert im Johanniser Leprosenhaus lebten, eine für damalige Verhältnisse erstaunliche Autonomie, wie aus einer Hausordnung von 1422 hervorgeht.

Nicht nur arme Schlucker

Noch aufregender ist, so der 30-Jährige, die Überlieferung zum Schicksal von Kriminellen: „Sie waren generell stark geächtet, von Ehebrechern und Räubern bis zu Vergewaltigern und Mördern — und zu den Tätern gehörten keineswegs nur arme Schlucker, sondern auch Angehörige der Oberschicht bis hin zu Ratsmitgliedern.“

Was sie angestellt haben und welche Strafen es gab, dokumentierte zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausführlich der Wirt und Weinschenk Wolf Neubauer in einer nach ihm benannten Chronik. Für die interessieren sich Forscher zwar schon lange. Zu den bisher weniger beachteten Aspekten gehört indes der Umgang mit Selbstmördern. Eigentlich galt schon der Versuch als schwere Straftat, aber es gab erstaunliche Ausnahmen: „In Nürnberg erhielten einige sogar eine ordentliche Bestattung.“

Versuch der Anbiederung

Sein privates Interesse nahm Manuel Pauli zum Ausgangspunkt für eine spannende Recherche im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Als Mitglied der Nürnberger Loge „Zu den Drei Pfeilen“ begab er sich auf die Suche nach Spuren von deren Aktivitäten und Wirken bis zur Zwangsauflösung durch das NS-Regime. Wie für alle Logen, bedeutete der Erste Weltkrieg für sie eine massive Zäsur, denn die zuvor vielfältigen internationalen Verbindungen im weltumspannenden Bruderbund wurden gekappt.

Schon das leistete einem kräftigen Rechtsschwenk Vorschub. Dabei sollte es nicht bleiben: Ursprünglich eher liberal ausgerichtet, wechselten die Drei Pfeile angesichts des heraufziehenden Nationalsozialismus zum nationalkonservativen Dachverband der Logen. „Es gab deutliche Anbiederungsversuche mit nationalistischen Untertönen“, berichtet Pauli, „offenbar hoffte man, damit einem Verbot oder einer Auflösung zu entgehen.“ Doch es half nichts: Nach der Nazi-Propaganda gehörten die Freimaurer zur „jüdisch-bolschewistischen Verschwörung“ und wurden verfolgt.

Darauf gründeten die Logenbrüder bei der Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg auch das Selbstbild von dem Zusammenschluss, der immer schon in Opposition zur rassistisch-aggressiven NS-Ideologie gestanden habe. An diesem Mythos hat Pauli nun in seiner Zulassungsarbeit für die Lehramtsprüfung an der Uni Erlangen-Nürnberg kräftig gekratzt.

Lange unter Verschluss

Dass es mit dem Widerstand nicht so weit her war, musste Pauli aus dem Studium der 1933 beschlagnahmten Akten folgern, die erst seit kurzem zugänglich sind: Erst hielt sie die Gestapo unter Verschluss, bis sie die Rote Armee nach Moskau verschleppte. Von dort „wanderten“ sie zurück ins Staatsarchiv der DDR — und werden nun im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz verwahrt.

Manche Logen hatten sich bereits vor 1933 aufgelöst, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung war in ganz Bayern keine mehr aktiv. Wie vor dem Krieg, hatten die Drei Pfeile ihr Domizil nach dem Wiederaufbau lange im Logenhaus an der Hallerwiese; erst kürzlich wechselten sie nach Fürth.

Der 1. Preis ging ebenfalls an eine angehende Gymnasiallehrerin: Für ihre ebenfalls in Erlangen entstandene Examensarbeit hat sich Sarah Baumann mit dem Trachtenvereinswesen im Kaiserreich beschäftigt. So abseitig und kurios sich das Thema ausnimmt, ist es keineswegs. Denn es wirft ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis von Franken und Bayern: Keiner der zwischen 1897 und 1918 entstandenen Brauchtumsvereine beschäftigte sich mit dem Erbe der eigenen Region. Stattdessen zielten alle auf die Erhaltung von Trachten und Volkstänzen von Altbayern, dem Allgäu und Tirol.

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