Brücke nach Russland

16.8.2015, 18:43 Uhr
Brücke nach Russland

© Foto: Matejka

und manchmal auch nur – verbindet sie die russische Sprache, sei es als Mutter- oder als Amts- und Kultursprache. So dient sie auch im Russisch-Deutschen Kulturzentrum als entscheidendes Bindeglied. Dabei soll ein großer Teil der Aktivitäten die Menschen unterstützen, in der neuen Umgebung heimisch zu werden. Und längst fühlen sich auch Einheimische wie Zuwanderer ganz anderer Herkunft angesprochen, aus Südeuropa ebenso wie aus Asien.

Die Türen des Flachbaus hinter dem Kulturladen Röthenbach stehen weit offen. Nicht nur zum Lüften. Immer wieder kommen Leute vorbei, die sich das erste Mal hier umsehen. Wie eine junge Mutter, die ihren Sohn noch für einen Ferienkurs anmelden will.

In einem ehemaligen Klassenzimmer des früheren Schulgebäudes schaut sich eine Gruppe einen Film an, der Raum für Gymnastik und Ballett nebenan ist gerade verwaist – das gibt’s eigentlich nur in den Ferien. Im Hof zerschlagen ein paar Kinder und Jugendliche gebrauchte Fliesen – aus den Scherben formen sie am nächsten Tag mit einer Kunstpädagogin ausdrucksvolle Mosaiken.

Dabei wird deutlich: Auch wenn sich mit dem Schlagwort Integration ganz unterschiedliche Vorstellungen verbinden, wie sehr sich Menschen mit ihrer neuen Heimat identifizieren sollten – über musisch-kreative Aktivitäten und Bewegung wachsen Verständnis und Zusammenleben ganz unkompliziert und vielleicht besonders nachhaltig.

Mit seinem breiten Angebot ist das Russisch-Deutsche Zentrum eines der größten im Land. Nach der Sommerpause laufen wieder 120 Kurse pro Woche – weit überwiegend für Kinder und Jugendliche. „Da liegt seit zehn Jahren unser Schwerpunkt“, stellt die umtriebige Leiterin Irina Fixel fest und fügt hinzu: „Zu 40 Prozent wird ausschließlich Deutsch gesprochen.“

Bei einigen Gruppen sind schon Kleinkinder ab dem zweiten Lebensjahr willkommen. „Wir haben alles im Programm – außer Chemie und Zirkus.“ Und wer weiß, welches Ansehen die Manegenkünste an Moskwa, Don und Wolga genießen, ahnt, dass die 43-Jährige das als Lücke im ohnehin dicken Programm empfindet. „Nur haben wir leider bisher keine Dozenten finden können.“

Fast die Hälfte der Kurse sind als schulbegleitende Unterstützung gedacht, gerade auch samstags und damit ebenfalls ganz auf Integration angelegt, merkt Fixel an.

Alles für Kinder

Brücke nach Russland

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Dass sich Erwachsene in deutlich geringerem Umfang beteiligen, hat nach Fixels Beobachtungen viele Gründe: Berufstätigkeit, oft in Schichtarbeit, erschwert regelmäßige Teilnahme. Zugleich investieren viele Eltern alle verfügbare Zeit und alles Geld in die Kinder.

Begonnen hatte die Arbeit vor fast 20 Jahren – als Selbsthilfeinitiative. Damals war die Historikerin und Archivarin nach Deutschland übergesiedelt. Ihr Studium hatte sie noch in der damaligen Aufbruchphase in Moskau absolviert, als dort Umgestaltung und Offenheit („perestroika“ und „glasnost“) noch etwas galten und inzwischen längst enttäuschte Hoffnungen wecken. „Aus eigener Erfahrung wusste ich, wie schwer es ist, sich hier als Neuankömmling zurechtzufinden“, erzählt Fixel im Rückblick. „Es ging um ganz praktische Beratung und Begleitung, etwa bei der Suche nach Arbeit oder Beantragung von Kindergeld.“ Anders als heute steckte das Internet noch in den Anfängen, Broschüren und Informationsblätter auch in russischer Sprache gab es überhaupt nicht. Erst im Laufe der Zeit – offiziell besteht der Verein seit 1998 – kamen Kultur- und Kursangebote hinzu. Nicht zuletzt, um eigene Einnahmen zu erzielen und damit die Arbeit zu finanzieren.

„Ein russischer Verein im Sinne eines klassischen Clubs oder Treffpunkts waren und sind wir aber nicht“, unterstreicht die Vorsitzende. Schon weil die deutsche Vereinskultur Russen eher unbekannt und fremd sei. Und schon gar nicht verstehe sich die Einrichtung als „Heimatpflegezentrum“. Was nicht ausschließt, dass sich Besucher hier gerne zum Plausch in der ihnen vertrauten Sprache treffen und es ihnen beispielsweise bei russischem Theater oder Folklorefesten richtig warm ums Herz werden darf.

Ganz so entspannt aber lassen sich die Früchte des Aufbauens und Aufblühens seit einiger Zeit nicht mehr genießen. Zumindest stehen die Verantwortlichen vor einer neuen Herausforderung: zu verhindern, dass tiefgreifende Konflikte, allen voran der Krieg in der Ostukraine, sich auch hierzulande als Störfeuer auswirken.

„Von einer blutigen Wunde an unseren Herzen“, spricht Fixel – und bemüht sich nach Kräften, die Politik aus der praktischen Arbeit herauszuhalten. Als offenes Forum, das gegenseitiges Verständnis fördert und eine Brückenfunktion übernimmt, sei das Zentrum vielleicht wichtiger denn je.

Zumal Betroffene längst spüren, dass die knallharte Konfrontation das Miteinander auch hierzulande vergiften kann: Der Riss geht quer durch viele Familien. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Für die einen war die Ukraine „schon immer“ ein eigenständiges Land, für die anderen „schon immer“ eine Art natürlicher Bestandteil der russischen Welt.

„Vor ein paar Jahren war ich überzeugt, dass Russland und Deutschland immer bessere Freunde werden und der Kalte Krieg wirklich überwunden ist“, meint Fixel. „Dass es plötzlich ein Blutvergießen fast vor unserer Nase gibt, hatte ich mir nicht vorstellen können.“ Die Entfremdung sei aber zumindest zum Teil auch „den“ Massenmedien anzulasten. Wem soll sie, meint sie verunsichert, noch Glauben schenken? Die Distanz bekomme auch das Russisch-Deutsche Kulturzentrum zu spüren, sowohl von deutschen Besuchern wie von Vertretern des öffentlichen und politischen Lebens. „Das spüren wir menschlich und persönlich.“

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