Bucher Straße: Dauerbaustelle vergrault die Kunden

10.10.2016, 12:00 Uhr
Bucher Straße: Dauerbaustelle vergrault die Kunden

© Ralf Rödel

„Ich habe momentan das Gefühl, man vergisst uns“, sagt etwa Stefan Wolf. Seine Gourmet-Metzgerei Wolf liegt wenige Meter von der Ecke zum Vestnertorgraben entfernt. Als die Baustelle im Mai eingerichtet wurde, sei alles sehr koordiniert abgelaufen. Doch seit die neuen Straßenbahn-Gleise im Boden liegen, scheint es kaum noch voran zu gehen, sagt der 42-Jährige, der inzwischen einen Rückgang seines Ladenumsatzes von gut 30 Prozent zu beklagen hat.

Vor allem, weil es dank der Baustelle fast keine Parkplätze mehr im Umfeld der Metzgerei gibt. Etwa drei Fünftel seiner Kunden kommen zwar aus einem Radius bis zu zwei Kilometern, sagt Wolf. Nicht wenige dieser Kunden seien kurzerhand aufs Rad umgestiegen. Doch immerhin zwei Fünftel reisen aus weiter entfernten Stadtteilen in die Nordstadt, ja sogar bis aus Langwasser.

Selbst für Fußgänger ist die Situation sehr schwierig geworden. Zwischen Vestnertorgraben und Friedrich-Ebert-Platz besteht kaum Möglichkeiten, die Bucher Straße zu queren, die zudem nurmehr einspurig in Richtung Stadtnorden befahrbar ist. Wer ein bestimmtes Geschäft in diesem Bereich ansteuert, muss einen regelrechten Laufparcours durch zahlreiche Baustellenabsperrungen bewältigen – oder sich auf der Fahrbahn selbst in Gefahr bringen.

Katastrophe in der Ladenkasse

In der Tat ist die Baustellenkonstruktion diffizil. Die städtischen Bereiche Sör (Straßenbau) und Sun (Abwasserkanäle) müssen sich koordinieren, zudem hat die VAG die Gunst der Stunde genutzt, um rund 30 Jahre alte Gleise und Weichen zu erneuern. Im Bereich der Pirckheimerstraße wurde das Gleis um 30 Zentimeter nach Osten verschoben, damit die Straßenbahnzüge dort künftig geradliniger und damit leiser passieren können. Die Lagerung von Weichen und Schienen auf elastischem Material soll die Geräuschentwicklung zusätzlich senken.

Bis Ende Juli wurde der Autoverkehr in beiden Richtungen einspurig durch die Baustelle geführt. Seit Anfang August gibt es nur noch eine Spur für den Verkehr in Richtung Stadtnorden. Seitdem ist es auch für Fußgänger noch schwieriger geworden, die Geschäfte zu erreichen, berichtet Michaela Giese, die zwei Hausnummern weiter das Modegeschäft „Mao Stylinglounge“ betreibt. Immer wieder würden jetzt die Laufrouten im Baustellenbereich verändert – „die volle Katastrophe“, so Giese, vor allem in ihrer Ladenkasse.

Nach der Eröffnung im Dezember 2014 sei das Geschäft 2015 „super gelaufen“. Seit dem Baubeginn im Mai 2016 habe sie durchschnittlich 20 Prozent weniger Umsatz gemacht, der September-Abschluss habe sogar rund 40 Prozent unter dem Vorjahr gelegen. Inzwischen gibt sie 20 Prozent Baustellen-Rabatt auf das ganze Sortiment und denkt über Internet-Aktionen nach, um wieder mehr Kunden in die Bucher Straße zu locken.

Eigentlich sollte zum Schuljahresbeginn Mitte September alles vorbei sein. Doch während der Bauarbeiten wurde ein Abwasserkanal entdeckt, der in den städtischen Sparten-Kartierungen nicht erfasst war. Dieser Kanal müsse jetzt noch saniert werden, erst dann könne der Straßenabschnitt asphaltiert und wieder hergestellt werden, erzählen Anlieger. Aktuell wird der 20. Oktober als Baustellenende gehandelt. Doch so recht glauben wollen die Ladenbetreiber das nicht mehr.

„Das dauert noch bis Dezember“, glauben auch die Optiker Heide und Heinrich Simmet, die mit ihrem Geschäft an der Ecke Bucher-/Jagdstraße residieren. Wegen der Baustelle ist es dort ungewöhnlich ruhig. Die Umsatzeinbußen hielten sich gleichwohl in Grenzen, erzählt das Ehepaar. Mit Aktionen zum 25-jährigen Geschäftsjubiläum habe man im Sommer so einiges auffangen können.

Dafür hat sich die Parkplatzsituation in jüngerer Zeit „zum Teil zur Katastrophe“ entwickelt, so Heinrich Simmet. In der Jagdstraße seien die Dauerparkplätze einige Zeit komplett gesperrt worden. In der nahe gelegenen Archivstraße wurden Parkbuchten für Leihfahrrad-Stationen aufgelassen bzw. mit Pfosten blockiert. „Das verstehe ich überhaupt nicht.“

Vor einigen Jahren wies die Stadt zahlreiche Anwohner-Parkplätze aus, was die Situation für die Ladenbetreiber, für die Ärzte und Anwälte keineswegs erleichterte. Nach einem gemeinsamen Brief an den Oberbürgermeister richtete die Stadt schnell Kurzzeitparkplätze ein. Diese werden aber ständig durch Dauerparker belegt, beklagt Simmet, der sich von der Stadt noch mehr Kurzeitparkflächen wünscht – und deren konsequente Überwachung.

Mode-Händlerin Giese denkt derweil über Ausgleichszahlungen durch die Stadt nach und verweist auf den Friedrich-Ebert-Platz. Die U-Bahn-Baustelle dort lief rund fünf Jahre und bescherte den Geschäften im direkten Umfeld Einbußen bis zu 60 Prozent. Die Stadt zahlte einigen Betreibern Entschädigungen bis zu 16 000 Euro. Ein Tropfen auf den heißen Stein, meinten damals die betreffenden Geschäftsinhaber – aber immerhin. Michaela Giese könnte sich vorstellen, zusammen mit benachbarten Händlern und Dienstleistern die Stadt um Gespräche über Entschädigungen zu bitten.

Metzger Stefan Wolf wiederum hätte sich eine bessere Kommunikation der Stadt mit den Anliegern gewünscht. Die VAG-Bauleitung habe vor Beginn der Maßnahme „jedes einzelne Haus abgeklappert“, um die Bewohner und Geschäftsleute zu informieren. „Bei Sör hat mir das gefehlt.“

Insgesamt 20 Mitarbeiter beschäftigt Wolf überwiegend in Teilzeit. Fachkräfte, von denen manche schon fast 20 Jahre im Unternehmen sind. „Man schätzt sich persönlich, man kann sich aufeinander verlassen“, sagt der 42-Jährige. Trotz der Umsatzeinbußen habe er sich deshalb nicht dazu durchringen können, die eine oder andere Kündigung auszusprechen. „Wir haben eben selbst den Gürtel enger geschnallt.“

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