Das Tempo-Taschentuch: Eine Nürnberger Erfindung

22.11.2015, 05:59 Uhr
Im Schmuddel-Herbst läuft jetzt wieder bei so manchem die Nase - gut, wenn dann schnell ein Papiertaschentuch zur Hand ist.

© dpa / Susann Prautsch Im Schmuddel-Herbst läuft jetzt wieder bei so manchem die Nase - gut, wenn dann schnell ein Papiertaschentuch zur Hand ist.

Die Geburtsstunde des erfolgreichen Einwegtaschentuchs schlug nämlich im Jahr 1929 in Nürnberg. Sein weltweiter Siegeszug hält trotz zahlreicher Konkurrenz nach wie vor an, die Produktion ist allerdings schon seit etlichen Jahren aus der Frankenmetropole verschwunden.

Es war der Nürnberger Unternehmer Oskar Rosenfelder, der 1929 sein Papiertaschentuch beim Deutschen Reichspatentamt eintragen ließ. Er brachte bei seiner Neuentwicklung die Erfahrungen ein, die er bereits bei der Herstellung von Toilettenpapier und Camelia-Damenbinden gesammelt hatte.

Für die Vereinigten Papierwerke Nürnberg entwickelte sich der Nachfolger des Mehrweg-Schnupftüchleins schnell zum absoluten Mega-Erfolg, auch wenn es in Ländern wie den USA schon ähnliche Produkte wie Kleenex gab. Das Tempotuch eroberte in Windeseile den Alltag, bereits 1933 wurden pro Jahr 35 Millionen Päckchen am Firmensitz in Heroldsberg produziert.

Eine dunkle Epoche

Durch die dunkle Epoche des Nationalsozialismus kam ein häßlicher Schmutzfleck in die Firmenchronik: Da Oskar Rosenfelder und sein Bruder Juden waren, wurden sie mit Gewalt von den Nazis gezwungen, ihre Firma so gut wie herzuschenken und ins Ausland zu flüchten. Dafür sorgte etwa Julius Streicher in seinem Hetzblatt "Der Stürmer" mit Hasstiraden gegen den "Camelia-Juden".

Die Vereinigten Papierwerke und die Tempo-Markenrechte gelangten schließlich wohl für nur einen Bruchteil des tatsächlichen Wertes in den Besitz von Gustav Schickedanz, die näheren Umstände dieses Kaufs sind bis heute Streitpunkt in einer heftig geführten Historikerdebatte geblieben.

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Tempo-Produktion weiter gesteigert und lag schließlich bei 400 Millionen Taschentüchern jährlich. Nach einem Herstellungsstopp in Kriegszeiten wurde 1947 die Produktion wieder aufgenommen und durchbrach im Jahr 1955 die Grenze von einer Milliarde pro Jahr.

Hochkonjunktur in Heroldsberg

Das Tempo-Werk in Heroldsberg beschäftigte zu Zeiten der Hochkonjunktur über 2000 Mitarbeiter. Zu ihrer Unterbringung wurde sogar das einzige Hochhaus des Ortes errichtet. In den 70ern wurde die Produktion aber schließlich aus der Marktgemeinde verlagert.

In Nürnberg ist der Name Tempo vor allem mit einem Gebäude in der Nordstadt verbunden: Das anfangs für Messen genutzte Wieseler-Haus an der Äußeren Bayreuther Straße wurde ab 1973 zum neuen Verwaltungsgebäude der Vereinigten Papierwerke Schickedanz & Co. umgebaut und ist seitdem unter dem Namen "Tempo-Haus" bekannt.

In den 90ern verkaufte Schickedanz seine Tochterfirma Vereinigte Papierwerke hauptsächlich an den US-Konzern Procter and Gamble, der den Verwaltungssitz in den Taunus verlegte. Anschließend befand sich im Tempo-Haus noch eine Zeit lang die Quelle-Kundenbetreuung.

Die Einweg-Taschentücher selbst wurden im Laufe der Jahrzehnte noch mehrfach weiterentwickelt: So etwa durch die "Z-Faltung", dank der der Benutzer nur noch eine Hand zu Hilfe nehmen musste. Änderung gab es auch bei der Duftnote, beim Zusatz von pflegenden Stoffen wie Menthol oder bei der Bleichung des Zellstoffs. Der Kern von Oskar Rosenfelders genialer Idee blieb aber bis heute gleich, ebenso wie der typische "Tempo"-Schriftzug.

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