Debatte um Cannabis: Braucht Nürnberg Coffeeshops?

27.1.2014, 06:00 Uhr
In den Niederlanden längst eine Institution: Coffeeshops.

© dpa In den Niederlanden längst eine Institution: Coffeeshops.

Cannabis ist in Deutschland verboten. Und doch beliebt. Von allen illegalen Substanzen wird der Stoff am häufigsten konsumiert. Als "weiche Droge", quer durch alle Schichten. Die neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), stellt sich gleich zu ihrem Amtsantritt gegen Pläne, in Berlin-Kreuzberg einen Coffeeshop nach niederländischem Vorbild zu errichten. “Die Legalisierung des Verkaufs von Cannabis mitten in der deutschen Hauptstadt wäre ein falsches Signal“, sagt die gebürtige Lauferin. Eine entsprechende Initiative hatten die Grünen eingebracht.

Warum eigentlich? "Die Erfahrungen aus anderen Ländern, die ähnliche Modelle des Umgangs mit Cannabis umgesetzt haben, sind durchaus positiv", sagt der Geschäftsführer der Nürnberger Drogenberatungsstelle mudra, Bertram Wehner. Gleichzeitig müssten aber auch breit angelegte Aufklärungs- und Präventionsangebote geschaffen werden, damit eine Entkriminalisierung vor allem bei Jugendlichen nicht die falschen Signale setze, so Wehner. "Die Vorschriften des Jugendschutzes müssten dringend beachtet und umgesetzt werden", sagt der Geschäftsführer der mudra.

Vor einer Legalisierung warnt der Leiter der Suchtambulanz am Klinikum Nürnberg, Oberarzt Wolf-Dietrich Braunwarth. "Aus medizinischer Sicht werden die Folgen von Cannabis in der öffentlichen Wahrnehmung eher unterschätzt", sagt Braunwahrt. Der Konsum, vor allem über lange Zeit hinweg, könne beträchtliche körperliche Schäden nach sich ziehen, Lungenschäden verursachen oder gar Lungenkrebs hervorrufen. Die Psyche greife der Stoff auf Dauer ebenfalls an.

"Wir wissen, dass Menschen geistige Defizite bekommen, die über 20 Jahre Cannabis konsumiert haben", erklärt Braunwahrt. Die Wirksubstanz THC könne eine Psychose bei denjenigen wecken, die eine Disposition dazu hätten. Zudem seien laut Braunwahrt viele Verkehrsunfälle auf Cannabis-Konsum zurückzuführen. "Ich denke, dass eine Gesellschaft nur eine bestimmte Anzahl von legalen Suchtmitteln verkraftet", sagt der Mediziner. "Wir haben mit Nikotin, Alkohol und den Benzodiazepinen bereits drei legale Substanzen und ich sehe täglich viele Menschen, die damit schon genug schwere Probleme haben", so Braunwahrt. Deshalb sei er gegen die Legalisierung eines vierten Suchtmittels.

Die Niederlande als Vorbild?

Dennoch zeigt die Strafandrohung kaum Wirkung. Schon jetzt ist in Deutschland die Prävalenz, also die Krankheitshäufigkeit, auch bei den illegalen Drogen hoch. Zahlen aus dem "Jahrbuch Sucht 2012", herausgegeben von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, belegen, dass die der Cannabiskonsumenten in der Bundesrepublik mit 11,1 Prozent der 15- bis 34-Jährigen sogar leicht höher ist als in den Niederlanden mit 9,5 Prozent der 15- bis 35-Jährigen - und das trotz der weitgehenden Entkriminalisierung im Nachbarland. Darauf verweist auch Bertram Wehner und schlussfolgert: "Die bisherige Drogenpolitik mit dem Ziel der drogenfreien Gesellschaft ist gescheitert".

Ein großes Problem sind auch synthetisch hergestellte Cannabinoide oder gefährliche Kräutermischungen wie "Spice". Das sind Designerdrogen mit  bis zu zehnfachem Wirkstoffgehalt, deren Risikopotential und gesundheitliche Auswirkungen wesentlich gravierender als beim Naturprodukt sein können. "Die Entkriminalisierung von Cannabis könnte die Nachfrage nach diesen Räuchermischungen vermindern", meint mudra-Geschäftsführer Bertram Wehner. Suchtambulanz-Leiter Wolf-Dietrich Braunwarth hingegen befürchtet, dass genau das Gegenteil eintritt. "Gäbe man den Menschen durch die Freigabe von Cannabis das Signal, der Konsum sei halb so wild, würden viele auch zu härteren Mischungen greifen", erläutert Braunwarth. Er führt an, dass zum Beispiel auch Amphetamin-Konsumenten sehr schnell auf das wesentlich potentere Crystal Meth umsteigen. 

Bertram Wehner weist zwar ebenfalls auf die Risiken des Cannabiskonsums hin. "Dauerkiffen kann erfahrungsgemäß negative Auswirkungen auf vielen Ebenen zur Folge haben", sagt er. Auf das soziale Umfeld der Konsumenten, oder auch die schulische und berufliche Situation. Genau für jene "problematisch Konsumierenden" böte die Legalisierung von Cannabis aber auch eine Chance. Spezielle Hilfsangebote könnten mehr finanzielle Unterstützung erfahren, bezahlt mit den Gewinnen und Abgaben aus den "Cannabisclubs", erklärt Wehner.

Überhaupt stünden demgegenüber viele integrierte, unproblematisch Konsumierende sowie "Gelegenheitskonsumenten", die durch eine unverhältnismäßige Strafverfolgung kriminalisiert würden, so Wehner.

Druck auf die Politik wächst

Die Debatte um die Entkriminalisierung von Cannabis spielt zumindest für die Nürnberger Polizei keine Rolle. "Wir wahren grundsätzlich die Neutralität", erklärt Pressesprecherin Alexandra Oberhuber auf Nachfrage. Die Gesetzeslage jedenfalls lasse nicht viel Spielraum zu. "Das ist eine politische Entscheidung", sagt Oberhuber.

Auf die Politik und Drogenbeauftragte Marlene Mortler wächst derweil der Druck. Selbst in Justizkreisen mehren sich inzwischen Stimmen, die liberalere Drogengesetze fordern. "Der Staat darf die Bürger durch die Drogenpolitik nicht schädigen. Es ist deshalb notwendig, Schaden und Nutzen der Drogenpolitik unvoreingenommen wissenschaftlich zu überprüfen", heißt es etwa in einer am vergangenen Montag veröffentlichten Petition, die bisher 106 Strafrechtsprofessoren unterzeichneten, darunter 16 Jura-Professoren von bayerischen Universitäten.

Weniger Kosten für die Strafverfolgung würden demnach auch potentiell mehr finanzielle Mittel für Prävention bedeuten. Zudem würde eine große Geldquelle für kriminelle Strukturen versiegen. Letztendlich stellen die Unterzeichner fest, dass eben nicht die Wirkung der Drogen das Problem sei, sondern ausgerechnet die repressive Drogenpolitik erst die Probleme schaffe.

 

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