Der Riese erwacht gerade

27.5.2006, 00:00 Uhr
Der Riese erwacht gerade

NZ: Nürnberg ist durch die Hintertür wieder erstklassig. Hat der sportliche Abstieg im Nachhinein sogar eine größere Chance geboten, die heimischen Unternehmen für sich zu gewinnen?

Koczwara: Das hat stark emotionalisiert, vielleicht sogar mehr als ein Klassenerhalt, den wir uns natürlich alle gewünscht hätten. Aber die Wirkung auf Sponsoren wäre wohl die gleiche gewesen. Ein zweites Jahr Bundesliga hat man uns nicht verwehren dürfen. Jetzt hat sich gezeigt, dass Nürnberg tatsächlich die Erste Liga will.

NZ: Ist die Wildcard eine zweite Chance oder ein Neubeginn?

Koczwara: Die Wildcard ist für uns mehr als eine zweite Chance. Mit den Erfahrungen, die wir im ersten Bundesligajahr gesammelt haben, bin ich überzeugt, dass wir mit dem Abstieg nichts zu tun haben werden.

NZ: Ist der Trainer da auch so optimistisch?

Harlander: Wenn wir alle Planungen so umsetzen wie wir das vorhaben, werden mit dem Abstieg nichts zu tun haben.

NZ: Sie beide verbindet eine echte Männerfreundschaft. War der Zusammenhalt durch die offene Situation zuletzt nicht auf die Probe gestellt?

Harlander: Wer uns kennt, weiß, dass wir gleich ticken, was den Basketball angeht. Es war klar, dass es nur Sinn macht, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen. Das Ding war wirklich auf der Kippe gestanden, aber Ralph hat da außergewöhnliches geleistet. Jetzt muss ich im sportlichen Bereich nachlegen.

NZ: Es gab nie Streit, keine Diskussionen? Dabei hängt doch ihre Existenz am Basketball.

Harlander: Der Klub ist mir näher als meine eigenen Karriere, deswegen haben wir uns immer um das Projekt gekümmert, nicht um uns selbst. So ist nie ein Ansatz von Spannung aufgekommen.

Koczwara: Wir haben das ja schon bewiesen: Wir passen gegenseitig auf uns auf.

Harlander: Ich passe auf, dass wir nicht zu euphorisch an Dinge herangehen und Ralph Koczwara kümmert sich in der Kommunikation darum, dass unsere Arbeit auch bei anderen Klubs respektiert wird.

NZ: Sind Ihnen beiden in den vergangenen Wochen nie Zweifel gekommen, dass Nürnberg und Basketball nicht zusammenpassen?

Koczwara: Klar. Aber man muss dabei über die persönlichen Gefühlszustände hinwegsehen. Das ist wie im Spiel: Liegt man zehn Punkte hinten, gibt es Spieler, die lethargisch werden und abschalten. Aber es gibt auch Spieler, die dann richtig kämpfen. Und zu der Sorte gehören wir.

Harlander: Dafür sind wir ja schon der Über-Loyalität bezichtigt worden.

Koczwara: Ohne Idealismus können große Dinge nicht entstehen.

NZ: Welche Lehren ziehen sie sportlich wie wirtschaftlich aus dem ersten Jahr in der Basketball-Bundesliga?

Harlander: Ich werde noch konsequenter nach Spielern suchen, die für uns bezahlbar sind und uns verstärken. Was wir bisher gut gemacht haben, wollen wir noch ein Stück besser machen. Die Spieler müssen wissen, dass sie nicht alles machen können was sie wollen, ohne das es Konsequenzen hätte.

NZ: Ein Beispiel?

Harlander: Wenn ein Slava Rosnowski vogelwild spielt, müsste er spüren, dass so etwas nicht geht, weil ihn sonst der Trainer auf die Bank setzt. In der ersten Bundesligasaison waren mir da die Hände gebunden.

NZ: Also die harte Schiene?

Harlander: Man braucht nicht nur Herz als Trainer. So kann ich als Coach eine Stufe höherklettern und Disziplin einzuhalten ist so besser möglich.

NZ: Bei der Vergabe der Wildcard haben Sie das eigenständige Profil der Sellbytel Baskets in Nürnberg neben dem Club und den Ice Tigers unterstrichen. Wie genau sieht das Profil aus?

Koczwara: Eine repräsentative Marktforschung hat gezeigt, dass uns schon jetzt 42 Prozent der Nürnberger kennen. Nach einem Jahr mit einem neuen Namen ist das ein erstaunlicher Wert. Jung, modern, innovativ und sympathisch — das sind genau die Werte, die wir als Unterscheidung sehen und das ist auch genau das Profil, das die Öffentlichkeit wahrnimmt. 30 Prozent der Nürnberger würden gerne ein Spiel von uns sehen, was zeigt, welches unglaubliche Potenzial in Nürnberg steckt.

NZ: Potenzial macht aber noch keine volle Halle...

Harlander: Spiele gewinnen schon.

Koczwara: Wir haben unseren Schnitt im Vergleich zur Zweiten Liga verdreifacht und haben jetzt schon zehnmal mehr Dauerkarten verkauft als im vergangenen Jahr. Das muss man erst einmal hinbekommen.

NZ: Der Etat beläuft sich Stand heute auf 1,3 Millionen Euro. Werden zusätzliche Einnahmen in Spieler oder Werbung investiert?

Koczwara: Um mit Marco Baldi (Manager bei Branchenführer Alba Berlin, die Redaktion) zu sprechen: Jeder Euro Mehreinnahme wird zu 50 Prozent in Spieler und zu 50 Prozent in die Infrastruktur gesteckt. So werden auch wir das halten.

NZ: Ende September/Anfang Oktober startet die neue Saison. Wie weit sind Sie mit den sportlichen Planungen?

Harlander: Das wird. Ich bin kräftig dabei. Mit Santee und Jenkins werden uns auf jeden Fall zwei Spieler verlassen. Mit Lake, Nees und Gioulekas haben drei Spieler noch Verträge. Zugesagt haben Matthias Meinel und Robert Dühring, der Vollprofi wird. Kurz vor der Unterschrift stehen wir mit Heiko Schaffartzik. Ryan DeMichael hat den Traum von einem Jahr im Ausland, aber er hat uns auch signalisiert, dass er gerne in Nürnberg weitermachen würde. Marcel Tenter ist derzeit in Rumänien und trainiert dort nach eigener Aussage jeden Tag wie ein Teufel. Beschwerdefrei. Das könnte man so interpretieren, dass er doch noch ein Jahr spielt. Und mit Mario Göhring werde ich mich in aller Ruhe unterhalten, aber er gehört zum Team dazu.

NZ: Und neue Spieler?

Harlander: Da bin ich fleißig auf der Suche. Wir haben nach langer Diskussion einen neuen Weg erarbeitet, Spieler zu finden. Wir suchen jetzt in den so genannten B-Ligen wie Polen, der Schweiz, der amerikanischen College-Division II oder auch in der deutschen Zweiten Liga. Und wir prüfen, ob es Sinn macht, einen Spieler, den jeder kennt, ins Team zu bekommen. Im besten Fall kommen zwei bis drei Neue, im ungünstigsten fall fünf bis sechs, obwohl ich die Kontinuität eigentlich beibehalten will. Ich lege Wert darauf, dass jeder Zuschauer merkt, meine Spieler sind Krieger.

NZ: Namen?

Harlander: Dafür ist es noch zu früh. Aber es kann sich in den nächsten zwei, drei Wochen schon einiges tun. Wir müssen Spieler finden, die sich mit uns weiterentwickeln wollen. Auf jeder Position können wir bestimmt keinen Kracher verpflichten.

NZ: Also soll mindestens ein bekannter Spieler kommen?

Koczwara: Im Rahmen des Budgets ist das machbar. Wir haben da schon einen im Auge und ich werde dann wieder auf Tour gehen, um die Finanzierung zu ermöglichen.

NZ: Sie hatten im ersten Bundesligajahr keinen Brustsponsor. Wird sich das ändern?

Koczwara: Diese Baustelle ist fertiggestellt. Es gibt drei neue relevante Partner. Die Namen wollen allen wissen, aber jetzt ist noch nicht der Zeitpunkt, das zu kommunizieren.

NZ: Basketball ist für sie eine Herzensangelegenheit, der sie fast alles unterordnen. Besteht nicht die Gefahr, dass sie als Trainer ausbrennen?

Harlander: Das Feuer ist voll da. Wie könnte ich ausbrennen, nachdem sich die Situation jetzt so darstellt? Aber nach zwei Jahren ohne Urlaub und nach einer Saison mit dem Abstieg im Kreuz war ich schon massiv angeschlagen. Für Eigenpflege hat es bisher nicht gereicht, aber das lag an mir. Urlaub geht im Sommer wieder nicht, aber ich werde einen Weg finden, mal zwei Wochen abzuschalten.

NZ: Ein Co-Trainer an ihrer Seite, der nicht nur drei Tage in der Woche wie bislang zur Verfügung steht, könnte da doch helfen. Steigt ihr bisheriger Assistent Stefan Weissenböck zur Vollzeitkraft auf?

Harlander: Wir arbeiten daran.

Koczwara: Es ist noch nicht ganz durch, aber budgetiert ist es. Und auch notwendig, wenn wir den nächsten Schritt machen wollen.

NZ: Vor zehn Jahren wollten Sie die Nummer drei in Nürnberg werden. Das Bild vom schlafenden Riesen, den es zu wecken gilt, wurde geboren. Wie ist der momentanen Gemütszustand des Riesen?

Koczwara: Die Zehen bewegen sich, sind aber noch etwas pelzig.

Harlander: . . . und ein Auge hat er schon offen. Der Riese blinzelt im morgendlichen Sonnenschein.

Fragen: Florian Pöhlmann

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