Der Spitze droht das Aus

17.11.2016, 20:31 Uhr
Der Spitze droht das Aus

© Roland Fengler

Wenn Sarah und Christian sich fortbewegen, gehen sie nicht. Sie tanzen. Auf Zehenspitzen tänzeln sie durch den Raum. Der Rücken ist durchgestreckt, der Körper angespannt. Schon an ihrem Gang lässt sich erkennen, wie der Tanzsport ihr Leben bestimmt. Sarah und Christian sind als Tanzpaar für die Karnevalsgesellschaft Buchnesia aus dem Knoblauchsland erfolgreich. In jeder Alters-klasse ist das Duo deutscher Meister – oft sogar mehrmals. Christian tanzt seit seinem siebten Lebensjahr. Vor dem Gardetanz hat er Ballett gemacht. "Meine Eltern sind aus Siebenbürgen. Da wird immer viel getanzt", erklärt er seine Leidenschaft. Eine Ausnahme ist er bei den Knoblauchsländer Karnevalisten als Mann nicht. In der Altersklasse über 15 Jahren gibt es neun männliche Tänzer. "Das ist aber schon eine Besonderheit", erklärt Christian. Die Buchnesia ist auch in der Frauengarde "Sellerie" als deutscher Vizemeister und in der gemischten Garde als amtierender deutscher Meister sehr erfolgreich. Sarah und Christian tanzen zusätzlich in den Garden.

"Unsere Trainerin ist für den Erfolg der Buchnesia verantwortlich", sagt Manfred Ruff, erster Vorsitzender. Seit 1988 trainiert Ruth Angermeyer die Buchnesia und seitdem stehen immer wieder Knoblauchsländer auf den Siegertreppchen. Die Buchnesia sticht mit ihrem Erfolg unter anderen Faschingsgesellschaften in Nürnberg hervor. Auch weniger Faschingsbegeisterten sind die Garde und das Tanzpaar bekannt – oft aus der BR-Sendung "Fastnacht in Franken", die aus Veitshöchheim übertragen wird. Selbst vor der Bundeskanzlerin Angela Merkel durfte die Buchnesia-Garde schon ihr Können präsentieren.

Der Spitze droht das Aus

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Sarah und Christian wurden fünfmal als deutsche Meister ausgezeichnet. Der Erfolg ist es auch, der Sarah antreibt. „Es ist ein Kick, auf der Bühne zu stehen“, sagt die 17-Jährige. Ohne die zahlreichen Medaillen, die ihr gesamtes Zimmer bei den Eltern schmücken, hätte sie vielleicht längst aufgegeben. Nur die Besten dürfen als Paar tanzen. Mit sieben Jahren ist Sarah zum ersten Mal beim Training durch die Turnhalle gehüpft. Ihre Eltern sind begeisterte Karnevalisten und haben ebenfalls als Paar getanzt. Ihre Schwester hat erst mit dem Studium den Funkenhut an den Nagel gehängt. Denn einen Faschingsverein kann man nicht wie ein Fitnessstudio wechseln.

"Wir wissen nicht, ob 2017 unser letztes Jahr sein wird", sagt Christian. Er und Sarah werden im kommenden Jahr ihr Abitur schreiben. Der 18-jährige Christian wird dann ein duales Studium im Bereich Betriebswirtschaftslehre beginnen. Es war eine Kopfentscheidung. Denn sein Herz hätte für eine Ausbildung zum Musicaldarsteller geschlagen. "Wenn ich mich verletze, dann kann ich kein Geld verdienen", sagt er. Sarah weiß noch nicht, wo es für sie hingehen soll. Christian wird in Nürnberg bleiben. Wenn Sarah wegzieht, dann würde es das Ende für beide als Tanzpaar bedeuten. Und auch ihre Freundschaft könnte sich dann verändern.

Sie ist eine der Beziehungen, bei denen man den anderen auch ohne Worte versteht. Ein Blick genügt und einer von beiden fängt an zu kichern. Wenn Sarah über Christian spricht, klingt es, als spräche sie von ihrem Ehemann: "Ich kann mir nicht vorstellen, mich auf einen anderen einzulassen." Die beiden sind ein Paar auf der Bühne und Freunde auf anderen Schauplätzen. Beim Training finden Sarah und Christian ihre Sprache schnell wieder. Und der Ton wird schärfer. "Christian, du bist zu langsam." – "Sarah, schau nicht so angestrengt." – "Ich will den Schritt aber anders machen." Jede Bewegung und jeder Blick werden genauestens einstudiert. Sogar abseits des Tanztrainings in der Turnhalle der Johann-Daniel-Preißler-Schule setzen sie sich zusammen und studieren ihre Mimik ein. "Es muss wirken, als wären wir tatsächlich ein Paar", erklärt Sarah. Mit einem pausenlos strahlenden Lächeln auf dem Gesicht hopsen sie im Gleichschritt über die Bühne, halten sich immer wieder an den Händen. Dann fasst Christian Sarah an der Hüfte und hebt sie nach oben, während die 17-Jährige einen Spagat in der Luft macht. "Man muss Vertrauen zueinander haben", sagt Angela Frey, die Trainerin. Jede Bewegung ist tausende Male einstudiert – auf dem Hallenboden und im Kopf. "Unsere stärksten Kritiker sind wir selbst", sagen Sarah und Christian über sich.

Der Spitze droht das Aus

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Ihre Beschäftigung neben Training und Auftritten heißt Schule. "Das ist unser Hobby", sagt Christian scherzhaft. Wenn sich die beiden nicht in der Turnhalle treffen, sitzen sie zu Hause zwischen all ihren Kostümen und Medaillen zusammen und sehen sich Filme an. Wie könnte es anders sein: Oft sind es Tanzfilme. "Wir sind immer auf der Suche nach Ideen", erklärt Christian. Zeit für Freundschaften außerhalb der Karnevalsgesellschaft ist knapp. Es gibt Freunde, zu deren Geburtstagsfeier konnte Christian noch nie kommen, weil sie im November oder Februar sind.

Weil niemand anderes ihre Ansprüche erfüllen kann, wird selbst die Bühnenkleidung in Eigenregie gestaltet. "Das Kostüm ist unser Erkennungszeichen", sagt Christian. Es gibt Trends, denen auch die Kleidungsstücke der Faschingsgarden unterliegen. Waren vor einigen Jahren noch Pailletten und Federn modern, haben Sarah und Christian sich bei ihrem aktuellen Kostüm für ein schlichtes Outfit in den Farben Schwarz und Kupfer entschieden. Nur der für die Faschingsgesellschaft typische Uniformcharakter muss erhalten bleiben. Ihre Mütter setzen die Ideen dann im heimischen Wohnzimmer um. Mehrere Wochen lang nähen sie, passen das Kostüm nach den Wünschen ihrer Kinder an. Bezahlt werden die Stoffe von der Buchnesia. Bereits seit zwei Jahren tragen Sarah und Christian nun ihr aktuelles Kostüm. Die viel kleineren Bühnenoutfits aus ihrer Anfangszeit hängen zu Hause im Schrank. "Keiner will das Kostüm eines deutschen Meisters tragen", sagt Sarah. Karnevalisten sind oft abergläubisch.

Beim Eintritt in die Altersklasse "Ü15" war Sarah erst 14 Jahre alt. Es genügt, wenn einer der Tanzpartner 15 ist. Viele der Konkurrenten waren zehn Jahre älter. "Für mich war das ein Ansporn", sagt Sarah. Sie und Christian betreiben das Tanzen als Leistungssport. Sie sind ehrgeizig und gehen nicht ohne eine Medaille nach Hause. Seit zweieinhalb Jahren klappt das auch. "Wir wollen das nicht halbherzig machen. Wir wollen Erfolge sehen und stecken deshalb viel Zeit, Fleiß und Herzblut rein", sagt Christian. In Rente würde sie auch noch lange keiner schicken. Der älteste Tänzer bei der Buchnesia ist 34 Jahre alt.

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