Die Nürnberger "Stadtindianer-Kommune" gibt es noch

23.5.2013, 08:44 Uhr
Die Nürnberger

© Hagen Gerullis, Archiv

In den 1980er Jahren drohten sie so manchen Grünen-Parteitag mit ihren Auftritten zu sprengen – jetzt brachte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, mit seiner Kritik an dem Grünen-Europa-Politiker Daniel Cohn-Bendit die „Indianerkommune Nürnberg“ wieder in Erinnerung. Voßkuhle hatte eine Festrede zur Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an Cohn-Bendit wegen angeblicher pädophiler Äußerungen des Politikers in früheren Zeiten abgesagt – eine Haltung, die man einst auch der „Indianer-Kommune“ unterstellte.

Exotisch und schrill angezogen hatten die „Stadtindianer“ einst auf Grünen-Parteitagen agitiert, mit ihren Debatten über Kinderrechte die Parteitreffen oft stundenlang blockiert – und am Ende die Grünen auch politisch in Bedrängnis gebracht. Im Herbst 1983 hatten sie sogar vorübergehend die Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Bonn besetzt. Für Aufsehen sorgten sie vor allem mit ihrer Forderung nach Streichung des Sexual-Strafrechtsparagrafen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen.



Selbst 30 Jahre später stößt man in Nürnberg noch auf Reste der „Stadtindianer“. „Es existiert noch eine kleine Bewegung“, berichtet Florian, der seinen Nachnamen aus Angst vor Behördenschikanen und „Kriminalisierung“ nicht nennen möchte. „Wir sind eine Reihe einzelner Leute, die kein großes Aufhebens davon machen, dass sie von zu Hause fortgelaufenen Kindern und Jugendlichen helfen.“

Die übrig gebliebenen einstigen „Stadtindianer“ firmieren inzwischen unter dem Etikett „Anti-Kinderklau Aktionsbündnis Kinderrecht“ (AKKA); ihren Informationsaustausch organisieren sie über ein Forum mit der vieldeutigen Abkürzung „FAKJU“: „Forum für anarchistische Kinder und Jugendpolitik“. Zeitweise, so zeigt eine ältere Webseite, gaben sich die einstigen „Stadtindianer“ auch als „Jugendselbsthilfe“ aus. Die dort angegebene Telefonnummer führt direkt zu Florian in Nürnberg.

Die Nürnberger

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An Anrufern mangele es nicht. Noch immer suchten etliche von zu Hause weggelaufene und aus Kinderheimen „geflohene Kinder und Jugendliche“ Rat und Hilfe des Aktionsbündnisses. „Ich selbst betreue seit Jahren fünf bis sechs schwere Fälle“, sagt Florian. Verbittert berichtet der einstige „Stadtindianer“ über Kinder, die „frei“ leben wollten. Stattdessen würden sie in Heimen „eingesperrt“ und dem „Jugendhilfesystem hilflos und verzweifelt ausgesetzt“. Etliche landeten in der Drogenszene, andere in der Psychiatrie.

Die Nürnberger

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Auf die Pädophilie-Debatte in den 1980ern angesprochen, erntet man bei den heutigen „Stadtindianern“ nur Groll: Das habe schon damals kaum eine Rolle gespielt, damals wie heute gehe es allein um Kinderrechte, versichert Florian vom Aktionsbündnis. Das Thema sei nur von einigen „uminterpretiert“ worden. „Wir wollen in Sachen Kinderrechte eine Politik, die den Kindern ermöglicht, selbst zu sagen, wie sie leben wollen. Kinder sollen von niemandem ausgebeutet werden“, sagt er.

Wie viele einstige Mitglieder der „Indianerkommune Nürnberg“ noch in der Kinderrechts-Bewegung engagiert sind, weiß man auch beim Aktionsbündnis nicht. Abgesehen von jenen, die gar nicht mehr lebten – während der Proteste in den 1980er Jahren hatten sich einige Aktivisten das Leben genommen –, hätten sich andere für ein bürgerliches Leben entschieden; sie hätten geheiratet und Familien gegründet. Die, die sich heute noch in der Kinderrechtsbewegung engagierten, schlügen sich oft unter schwierigen Bedingungen durch, berichtet Florian.

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