Die Stadt muss noch viel bunter werden

25.6.2014, 20:25 Uhr
Die Stadt muss noch viel bunter werden

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Wie eine multikulturelle Stadtgesellschaft aussieht und klingt, beobachtet Bernhard Jehle täglich, wenn er mit der U-Bahn zur Arbeit fährt: Menschen unterschiedlichster Herkunft, die eine Vielzahl von Sprachen sprechen. Den sperrigen Begriff „interkulturelle Öffnung der Verwaltung“ kann er so recht einfach erklären. „Grob gesagt: wenn sich die gesellschaftliche Normalität aus der U-Bahn auch am Arbeitsplatz widerspiegelt.“

Im Institut für Pädagogik und Schulpsychologie (IPSN), das er leitet, ist dies zumindest ein bisschen der Fall. Fünf von 23 Mitarbeitern haben einen Migrationshintergrund. Das entspricht zwar noch nicht dem Anteil von 40 Prozent, den Migranten an der Nürnberger Stadtbevölkerung ausmachen, es macht das IPSN dennoch zu einem Spitzenreiter innerhalb der Verwaltung.

Denn obwohl die Stadt den Migrantenanteil unter ihren rund 10 000 Beschäftigten erhöhen will, lag die Quote laut der letzten Befragung von 2010 bei gerade mal neun Prozent.

Bessere Dienstleistung

Mit dem IPSN mithalten, vermutet Jehle, könnte nur das Amt für Kultur und Freizeit. Zitat: „Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zu beschäftigen, ist kein Selbstzweck. Schließlich ist es unsere Aufgabe, Dienstleistung zu erbringen. Eine multikulturelle Belegschaft hilft uns dabei.“

Wie das in der Realität aussieht, zeigt die Arbeit von Marissa Pablo-Dürr. Sie leitet den Bereich Chancengleichheit. Wenn sie bei Lehrerfortbildungen über Themen wie interkulturelle Sensibilisierung oder Diskriminierung spricht, profitiert sie oft von ihrer Herkunft: „Wenn ich über eigene Ausgrenzungserfahrungen berichte, werde ich als authentisch und glaubhaft wahrgenommen.“

Ein Vorteil gegenüber deutschen Kollegen, die laut Pablo-Dürr bei einigen Themen sogar auf Vorurteile stoßen: „Wenn sie über Rassismus referieren, werden sie nicht selten von Lehrkräften als Nestbeschmutzer beschimpft.“

Schon bevor sie loslegt, bewirkt die Präsenz von Marissa Pablo-Dürr etwas in den Köpfen, da ist sich ihr Chef Bernhard Jehle sicher: „Dass da ausgerechnet jemand Dunkelhaariges, Fremdaussehendes das Seminar schmeißt, ist für viele bereits ein Paradigmenwechsel.“ Und der ist auch heute noch bitter nötig, wie die in Manila geborene Soziologin bestätigt. In einer Berufsschule beispielsweise musste sie sich das ernst gemeinte „Kompliment“ anhören: „Wir hätten nie gedacht, dass wir von einer Migrantin so viel lernen können.“

Starker Tobak, wenn man sich vor Augen hält, dass in vielen Nürnberger Klassenzimmern mehr Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sitzen als ohne. Die Lehrerschaft dagegen sei noch weitgehend homogen, weiß Bernhard Jehle. Pauker, die selbst eine Zuwanderungsgeschichte und Erfahrung im Umgang mit verschiedenen Kulturen haben, sind dagegen noch Exoten. „Wir müssen eben sehen, wie man es trotzdem macht.“

Allerdings setzen er und seine Mitarbeiter natürlich nicht nur auf die Lehrer, sondern auch auf Mütter und Väter mit Migrationshintergrund. Die ehrenamtlichen Elternlotsen, die das Elternbüro des IPSN im Rahmen des Programms „NEST“ einsetzt, sind dabei unverzichtbare Stützen für die Pädagogen.

Nicht mehr wegzudenken

Die Männer und Frauen aus 18 verschiedenen Ländern übernehmen eine Vielzahl von Aufgaben, berichtet Magdalena Musial, die das Projekt betreut. Ob es darum geht, Lehrer bei Elterngesprächen zu unterstützen, Deutschkurse für Mütter einzurichten oder Eltern-Netzwerke zum Erfahrungsaustausch zu knüpfen — sie, sind an vielen Nürnberger Schulen gar nicht mehr wegzudenken.

Bei Bedarf können die Elternlotsen zwar auch in 20 Sprachen über das bayerische Schulsystem informieren und beraten, sagt Magdalena Musial. „Aber es ist in der Regel nicht so, dass eine russische Lotsin nur russische Familien betreut.“

Eigene Erfahrungen

Ausschlaggebend für die Arbeit der Elternlotsen ist nicht die Sprache, sondern dass sie selbst als Migranten Erfahrungen mitbringen. Dennoch, ergänzt Jehle, gibt es durchaus auch sprachliche Vorteile: „Wenn zwei Migranten aus verschiedenen Ländern deutsch miteinander sprechen, verstehen sie nachweislich mehr, als wenn sie mit Deutschen sprechen.“

Getrennte Dienste

Letzteres durfte Magdalena Musials Kollege Alessandro Dore lange Zeit gar nicht — zumindest nicht bei der Arbeit. „Ich musste deutsche Eltern früher an andere Stellen verweisen“, sagt der aus Italien stammende Schulpsychologe, der ursprünglich eingestellt worden war, um sich um die Kinder seiner Landsleute zu kümmern. „Selbst räumlich waren wir im Schulpsychologischen Dienst 1992 getrennt“, erinnert sich Dore, „der Dienst für ausländische Schüler war separat in der Äußeren Sulzbacher Straße untergebracht.“

Seit damals hat sich natürlich einiges getan bei der Stadt und es herrscht längst eine andere Mentalität. „Einwanderer einzustellen für die Arbeit mit Einwanderern, war nur der erste Schritt“, sagt Jehle. „Der zweite Schritt ist, dass sie als Mitarbeiter wie alle anderen beschäftigt werden.“

Ein Schritt der selbst im ISPN kein Selbstläufer ist: „Ich war hier anfangs auch die Exotin, bei der die Kollegen nicht wussten, was sie mit mir anfangen sollen“, sagt Marissa Pablo-Dürr. Der Grund war nicht ihre Herkunft, sondern die Tatsache, dass sie Soziologin ist und keine Pädagogin. „Integrationsschwierigkeiten“, scherzt Pablo-Dürr, seien aber auch bei der Fusion des Pädagogischen Instituts und des Schulpsychologischen Dienstes vor einigen Jahren aufgetreten.

Andere tun sich schwer

Warum sich andere kommunale Einrichtungen mit der interkulturellen Öffnung bislang schwerer tun, darüber mag Bernhard Jehle lieber nicht spekulieren. Doch Pablo-Dürr ist optimistisch, dass sich das ändert — nicht nur bei der Stadt, sondern in der ganzen Gesellschaft: „Wir werden uns daran gewöhnen, dass auch hochqualifizierte Menschen einen fremden Akzent haben können.“

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